Leitsatz (amtlich)

1. Es wird daran festgehalten, dass § 1664 BGB auch anzuwenden ist, wenn ein Anspruch aus einer Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht hergeleitet wird und es um die Teilnahme des Kindes am Straßenverkehr geht (OLG Karlsruhe NZV 2008, 511).

2. Ein Anspruch wegen Aufsichtspflichtverletzung ist nach § 277 BGB nicht schon dann ausgeschlossen, wenn den Eltern grobe Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen ist. Für die eigenübliche Sorgfalt kommt es nicht darauf an, wie die Eltern der Aufsichtspflicht über ihre am Straßenverkehr teilnehmenden Kinder ansonsten nachkommen, sondern darauf, welche Sorgfalt sie in eigenen Angelegenheiten an den Tag legen.

 

Normenkette

BGB §§ 277, 1664

 

Verfahrensgang

LG Mosbach (Urteil vom 19.10.2011; Aktenzeichen 2 O 322/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Mosbach vom 19.10.2011 - 2 O 322/10 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen geändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 3.225,55 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.2.2010 zu bezahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 30 % derjenigen Leistungen zu erstatten, die der Klägerin aufgrund des Verkehrsunfalls vom 4.4.2007 entstehen. Hiervon ausgenommen sind Leistungen der Klägerin an Sozialversicherungsträger, solange und soweit bei diesen ein Familienprivileg besteht.

2. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/7 und die Beklagten als Gesamtschuldner 3/7 zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die klagende Kfz-Haftpflichtversicherung macht Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 4.4.2007 geltend.

Die Beklagten sind die Eltern der am 13.6.2003 geborenen J.. Am Nachmittag des 4.4.2007 erlaubte die Beklagte zu 2 gegen 16:45 Uhr ihrer damals 3 ¾ Jahre alten Tochter, mit ihrem damals siebenjährigen, noch nicht eingeschulten Bruder U. zu einem nahegelegenen Spielplatz zu gehen, wo die Eltern sie abholen würden, um gemeinsam Eis essen zu gehen. Vor dem Haus begegneten die Kinder dem gerade eintreffenden Beklagten zu 1, dem sie erzählten, dass sie auf den Spielplatz dürften und alle dann anschließend Eis essen gehen würden.

Der Spielplatz befindet sich an der Kreuzung E/U. straße in H.. Er ist von der Wohnung der Beklagten etwa 200 Meter entfernt. Der Weg von der Wohnung der Beklagten zum Spielplatz führt durch ein Wohngebiet, wobei zwei Straßen überquert werden müssen. Die W. Straße, eine Durchgangsstraße, befindet sich von der Wohnung der Beklagten gesehen etwa weitere 50 Meter hinter dem Spielplatz. Vor dem 4.4.2007 hatten die Beklagten ihren beiden Kindern bereits mehrmals erlaubt, ohne weitere Begleitung zum Spielplatz zu gehen.

Kurz nach 17:00 Uhr verließen J. und U den Spielplatz ohne die Eltern und gingen auf dem rechten Gehweg der W. Straße in H. in Richtung R. (stadtauswärts). Dort befuhr der Versicherungsnehmer der Klägerin, B., mit einem Leichtkraftrad die W. Straße in Richtung Stadtmitte. Als er sich in Höhe der Einmündung der E. straße befand, lief J. vom Gehweg auf die Fahrbahn, um die Straße zu überqueren. B. bremste sein Leichtkraftrad ab, kam aber nach einer Bremsspur von ca. 4 m in eine unkontrollierte Fahrzeugbewegung und kippte auf die rechte Seite um. Anschließend rutschte das Leichtkraftrad auf der W. Straße stadteinwärts etwa 29 m weit. J. wurde während des Rutschvorgangs durch das Leichtkraftrad erfasst. Sie erlitt bei dem Unfall einen schweren Schädelbruch, Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper und leidet dauerhaft an den Unfallfolgen. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft M. gegen den Versicherungsnehmer der Klägerin wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Die Klägerin hat am 16.10.2007 einen Betrag von EUR 10.000 an das Kind J. bezahlt und am 9.4.2009 eine Erstattung auf Rechtsanwaltskosten des anwaltlichen Vertreters von J. i.H.v. EUR 751,84 geleistet.

Die Klägerin hat vorgebracht, dass die Beklagten wegen einer Aufsichtspflichtverletzung gesamtschuldnerisch mit der Klägerin zu einer Quote von 70 % hafteten. Die Haftungserleichterung des § 1664 BGB sei im Zusammenhang mit den Gefahren, die sich aus dem Straßenverkehr ergeben, nicht anwendbar. Jedenfalls hätten die Beklagten aber nicht den - sehr hohen - Sorgfaltsmaßstab angelegt, den sie ansonsten in eigenen Angelegenheiten pflegten.

Im Übrigen sei das Verhalten der Beklagten ohnehin grob fahrlässig gewesen. Es hätte den Beklagten einleuchten müssen, dass die beiden Kinder aufgrund der Vorfreude auf den Urlaub ein überschießendes Verhalten an den Tag legen würden. Da die Kinder gewusst hätten, dass die Eisdiele das Ziel des Ausflugs war, hätte sich den Eltern aufdrängen müssen, dass die Kinder nicht lange am Spielplatz warten würden, sondern den Weg zur Eisdiele fortsetzen würden.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin ...

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