Leitsatz (amtlich)

1. Eine fehlgeschlagene Familienplanung liegt nicht nur vor, wenn diese bereits - im Sinne gewünschter endgültiger Kinderlosigkeit - abgeschlossen ist, sondern ist auch dann denkbar, wenn die gegenwärtige Planung durchkreuzt wird und die zukünftige Planung endgültig noch gar nicht absehbar ist.

2. In den Schutzbereich eines auf Schwangerschaftsverhütung gerichteten Vertrages zwischen Arzt und Patientin ist (zumindest) auch der gegenwärtige Partner einer ungefestigten Partnerschaft einbezogen.

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 29.07.2004; Aktenzeichen 2 O 70/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 29.7.2004 im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt,

a) an die Klägerin 14.082 EUR (Unterhaltsschadensersatz für den Zeitraum 12/02 bis 12/05) nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.458 EUR seit 8.11.2004 sowie aus 8.624 EUR seit 18.1.2006 zu zahlen,

b) an die Klägerin für das Kind J., geboren am 23.12.2002, bis zum Eintritt der Volljährigkeit (23.12.2020) monatlich im Voraus, beginnend mit dem Monat Januar 2006, Unterhaltsschadensersatz i.H.v. 270 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Regelbetragsverordnung abzgl. dem jeweiligen gesamten Kindergeld zu bezahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages bezüglich des Urteilstenors 1a), im Übrigen (Urteilstenor 1b) durch Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf 30.798 EUR.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Der Tatbestand des angefochtenen Urteils lautet wie folgt:

Die am 4.6.1981 geborene Klägerin begehrt von ihrem Gynäkologen, dem Beklagten, aus eigenem und aus abgetretenem Recht des Kindsvaters Ersatz des den Eltern durch die Unterhaltsverpflichtung für den am 23.12.2002 geborenen Sohn entstandenen und noch entstehenden Unterhaltsschadens, da der Beklagte das von der Klägerin gewünschte Kontrazeptivum "Implanon" am 21.2.2002 fehlerhaft bzw. gar nicht appliziert habe.

Die Klägerin war am 21.1.2002 bei dem Beklagten, um sich das von ihr gewünschte langwirkende Kontrazeptivum "Implanon" legen zu lassen. Bei diesem Präparat handelt es sich um ein ca. 3 mm starkes und wenige Zentimeter langes Plastikröhrchen, welches oberhalb der Ellenbogenbeuge mittels eines Applikators subcutan eingebracht wird (Beschreibung AS 35-49). Der Beklagte hat seine Behandlung mit 315 EUR in Rechnung gestellt (AS 17). Die Klägerin hat die Rechnung bezahlt.

Bei einem Wiedervorstellungstermin am 8.7.2002 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Schwangerschaft in der 16. Woche fest. Das "Implanon"-Implantat konnte nicht mehr gefunden werden. Der Wirkstoff des "Implanons" konnte im Blut der Klägerin nicht nachgewiesen werden.

Am 23.12.2002 gebar die Klägerin einen gesunden Sohn.

Die Klägerin ist gelernte Erzieherin, die 2002 mit ihrer Ausbildung fertig wurde. Sie hatte ab August 2002 eine Arbeitsstelle als Erzieherin in der Schweiz gefunden, die sie aber wegen der Schwangerschaft und der Betreuung des Kindes nicht antreten konnte.

Die Vaterschaft zu dem Sohn der Klägerin hat mit Zustimmung der Klägerin ein am 30.8.1972 geborener Schweizer Staatsangehöriger anerkannt (AS 177), den die Klägerin im Zeitpunkt der Zeugung etwa seit einem halben Jahr kannte, der aber damals und auch heute noch bei seinen Eltern in der Schweiz wohnt. Er kommt seiner Unterhaltspflicht ggü. dem Sohn der Klägerin nach und nimmt auch sonst alle Aufgaben eines Vaters wahr.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe am 21.1.2002 das "Implanon" entweder überhaupt nicht oder fehlerhaft mit der Folge des alsbaldigen unbemerkten Verlustes implantiert. Der Vater des Kindes und sie hätten weder zum damaligen Zeitpunkt noch später ein Kind haben wollen, da sie sich erst ein halbes Jahr gekannt hätten und da die Klägerin ihre sehr gute Arbeitsstelle in der Schweiz habe antreten wollen.

Sie meint, der Beklagte schulde deswegen sowohl den Bar- als auch den Betreuungsunterhalt i.H.v. zusammen 270 % des Regelbetrags nach der Regelbetragsverordnung abzgl. Kindergeld bis zum 18. Lebensjahr des Kindes und danach 200 % des jeweiligen Regelbetrags der Altersstufe 4 nach der Düsseldorfer Tabelle.

(Es folgen die Anträge)

Der Beklagte bestreitet jeden Behandlungsfehler und behauptet, es sei entgegen den Herstellerangaben durchaus möglich, dass das "Implanon"-Implantat unbemerkt verloren gehe.

Der Beklagte meint, die Klägerin könne den Unterhalt für ihren Sohn ni...

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