Entscheidungsstichwort (Thema)

Räumung und Herausgabe

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Rechtsentscheid vom 16.11.1984; Aktenzeichen 5 S 126/84)

 

Tenor

1. Der entgeltliche Dauernutzungsvertrag über eine Wohnung zwischen einer Wohnbaugenossenschaft und ihrem Mitglied stellt inhaltlich einen Mietvertrag dar. Ist in einem solchen Vertrag das ordentliche Kündigungsrecht der Genossenschaft in der Weise eingeschränkt worden, daß es nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeübt werden darf, wenn wichtige berechtigte Interessen der Genossenschaft eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen, so geht diese Rechtsstellung auf einen Erwerber der Wohnung gemäß § 571 BGB über.

2. Der Übergang der Kündigungsbeschränkung hat einen Ausschluß des Kündigungsrechts aus § 564 b Abs. 4 BGB zur Folge. Auf Eigenbedarf kann die Kündigung nur dann gestützt werden, wenn die dafür geltend gemachten Gründe ausnahmsweise die verschärften Voraussetzungen eines wichtigen berechtigten Interesses erfüllen, das die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig macht.

 

Tatbestand

I.

1. Die beklagten Eheleute sind Mitglieder einer gemeinnützigen Baugenossenschaft. § 15 der Satzung dieser Baugenossenschaft bestimmt zur Überlassung und Zuweisung von Wohnungen folgendes:

  1. Die Überlassung einer Genossenschaftswohnung begründet ein dauerndes Nutzungsrecht des Mitgliedes. Die Nutzungsgebühr wird nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung vom Vorstand festgesetzt.
  2. Das Nutzungsverhältnis an einer Gemeinschaftswohnung kann während des Bestehens der Mitgliedschaft nur unter den im Nutzungsvertrag festgesetzten Bedingungen aufgehoben werden.

Am 09.10.1980 schloß die Baugenossenschaft mit den Beklagten einen schriftlichen „Dauernutzungsvertrag”, in dem sie ihnen die Wohnung im Erdgeschoß eines ihr gehörenden 2-Familien-Hauses in … gegen eine monatliche Nutzungsgebühr von 450,– DM zuzüglich Nebenkosten überließ. Nach § 5 dieses Vertrages wird das Nützungsverhältnis für unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann nur nach Maßgabe der Allgemeinen Vertragsbestimmungen (AVB) gekündigt werden. Diese enthalten unter Nr. 10 folgende Regelung zur Kündigung durch die Genossenschaft:

(1) Das Recht zur Nutzung der Genossenschaftswohnung ist an die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft gebunden. Scheidet das Mietglied bei Lebzeiten aus der Genossenschaft aus, so ist die Genossenschaft berechtigt, das Nützungsverhältnis zum nächst zulässigen Termin unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen zu kündigen.

(2) Während des Fortbestehens der Mitgliedschaft wird die Genossenschaft von sich aus das Nützungsverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Sie kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Nützungsverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen der Genossenschaft eine Beendigung des Nutzungsverhältnisses notwendig machen.

Absatz 3 nennt anschließend bestimmte Vertragsverletzungen des Mitglieds, die die Genossenschaft zur Kündigung ohne Einhaltung einer Frist berechtigen.

2. Die Baugenossenschaft hat das Eigentum an dem genannten Hausgrundstück Anfang des Jahres 1983 auf die Kläger übertragen. Der Zweitkläger hat die Wohnung im 1. Obergeschoß bezogen. Die Erstklägerin und der Drittkläger, die ein im Januar 1984 geborenes gemeinsames Kind haben, vollen in die Wohnung im Erdgeschoß einziehen. Die Kläger haben den Beklagten daher durch Anwaltsschreiben vom 28.07.1983 das Vertragsverhältnis zum 31.10.1983 unter Berufung auf Eigenbedarf gekündigt. Die Beklagten haben der Kündigung widersprochen.

Mit der zum Amtsgericht erhobenen Klage haben die Kläger die Räumung und Herausgabe der Wohnung begehrt. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, daß den Klägern im Hinblick auf den Inhalt des mit der Baugenossenschaft geschlossenen Dauernutzungsvertrages die Berufung auf Eigenbedarf schon aus Rechtsgründen versagt sei. Sie haben außerdem den behaupteten Eigenbedarf bestritten.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil kein Eigenbedarf vorliege.

3. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie greifen die Rechtsauffassung des Amtsgerichts an und tragen weitere Tatsachen zur Begründung ihres Eigenbedarfs vor. So machen sie u. a. geltend, inzwischen sei der Erstklägerin und dem Drittkläger die bisherige Wohnung von ihren Vermietern ebenfalls wegen dringenden Eigenbedarfs gekündigt worden. Die Kläger haben außerdem das Vertragsverhältnis mit Anwaltsschreiben vom 20.08.1984 unter Berufung auf §§ 564 b Abs. 4 und 554 a BGB zum 28.02.1985 erneut gekündigt. Mit ihrem Hilfsantrag verlangen sie Räumung und Herausgabe zu diesem Zeitpunkt.

Die Beklagten begehren Zurückweisung der Berufung und treten auch der neuen Kündigung entgegen.

Durch Beschluß vom 16.11.1984 hat das LG Heidelberg dem Senat folgende Frage

zum Rechtsentscheid vorgelegt:

Kann der Erwerber eines Genossenschaftsgrundstückes mit 2-Familien-Haus ein Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs (§ 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder nach § 564 b Abs. 4 BGB kündigen, welc...

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