Entscheidungsstichwort (Thema)

elterliches Sorgerecht. Türkei. Ehescheidung. einstweilige Anordnung wegen elterlicher Sorge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der im türkischen Sorgerecht gemäß Art. 263 türk. ZGB vorgesehene Stichentscheid des Kindesvaters bleibt bei Sorgerechtsregelungen deutscher Gerichte – da grundgesetzwidrig – unberücksichtigt.

2. Da das türkische Recht eine gerichtliche Sorgerechtsübertragung auf nur einen Elternteil im Falle des faktischen, gerichtlich nicht bestätigten Getrenntlebens beider Eltern nicht vorsieht, es vielmehr bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleibt, kann einem Elternteil während des Getrenntlebens nicht die elterliche Sorge selbst, sondern nur deren Ausübung übertragen werden.

 

Normenkette

BGB § 1672; EGBGB Art. 6 S. 2; MSA Art. 16

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Beschluss vom 15.04.1997; Aktenzeichen 4 F 38/97)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin/Kindesmutter wird der Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Karlsruhe vom 15.04.1997 (4 F 38/97 EA I SO) wie folgt abgeändert:

Die elterliche Sorge für die ehegemeinschaftlichen Kinder der Parteien … geboren am 27.01.1989 und …, geboren am 22.01.1990, wird der Ausübung nach während des Getrenntlebens auf den Antragsteller/Kindesvater übertragen.

2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Antragsgegnerin/Kindesmutter trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf DM 1.000,– festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der am 01.05.1966 geborene Antragsteller/Kindesvater und die am 01.08.1968 geborene Antragsgegnerin/Kindesmutter, beide türkische Staatsangehörige, haben am 08.08.1986 die Ehe geschlossen. Aus dieser sind die beiden oben genannten Söhne … und … hervorgegangen.

Ende 1991 oder Ende 1993 (die Angaben der Parteien hierzu gehen auseinander) ist der Kindesvater aus der ehelichen Wohnung ausgezogen, seitdem leben die Parteien getrennt. Die Kinder verblieben bei der Trennung zunächst im Haushalt der Kindesmutter, seit Oktober 1996 befinden sie sich im Haushalt des Kindesvaters bzw. einer Verwandten des Vaters, die diesen bei der Versorgung der Kinder unterstützt. Der Vater ist als Aushilfsarbeiter tätig. Die Mutter bezieht Sozialhilfe und ist stundenweise oder halbtags berufstätig.

Im Rahmen des anhängigen Scheidungsverfahrens haben beide Parteien beantragt, ihnen das Sorgerecht für die Kinder im Wege der einstweiligen Anordnung zu übertragen. Zur Begründung haben sie jeweils angeführt, dies entspreche dem Wunsch der Kinder und diene ihrem Wohl. Das am Verfahren beteiligte Jugendamt hat zu den Anträgen keine eindeutige Stellungnahme abgegeben. Das Familiengericht hat die Parteien und die Kinder persönlich angehört; hierbei haben die Kinder zuletzt beide erklärt, beim Vater verbleiben zu wollen.

Mit Beschluß vom 15.04.1997 hat das Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht für die Kinder für die Dauer des Getrenntlebens der Parteien auf den Vater übertragen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidung verwiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Mutter, die nach wie vor eine vorläufige Sorgerechtsübertragung auf sich anstrebt. Sie führt aus, der Gesichtspunkt der Kontinuität spreche für eine Sorgerechtsübertragung auf sie und nicht auf den Vater, da die Kinder fünf Jahre lang bei ihr gelebt hätten und sich erst seit einigen Monaten beim Vater befänden. Beide Kinder hätten auch die intensivere innere Bindung an sie. Der bei der richterlichen Anhörung von den Kindern geäußerte Wunsch nach einem Verbleib beim Vater hätte für das Gericht Anlaß zu weiterer Sachprüfung und ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens sein müssen. Auch hätten die Lebensumstände der Kinder beim Vater überprüft werden müssen; insbesondere seien die Wohnverhältnisse der Mutter besser als die des Vaters, die eine angemessene Unterbringung der Kinder nicht erlaubten.

Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Gericht habe die Lebensumstände der Parteien und Kinder zutreffend ermittelt und gewürdigt; Anlaß zur Erhebung eines Sachverständigengutachtens habe nicht bestanden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die nach § 620 c ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist im wesentlichen unbegründet.

1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für das Verfahren ergibt sich aus Art. 1 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA) vom 05.10.1961 (Bundesgesetzblatt 71 II, 217), dem sowohl die Bundesrepublik Deutschland wie auch die Türkei beigetreten sind.

a) Bei der im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen vorläufigen Sorgerechtsregelung – wie auch bei der noch zu treffenden endgültigen Sorgerechtsregelung – handelt es sich um eine Schutzmaßnahme zu Gunsten der Kinder im Sinne des MSA, so daß das Abkommen in sachlicher Hinsicht Anwendung findet.

b) Da die Kinder sowohl nach türkischem wie nach deutschem Recht minderjährig sind und in der Bundesrepublik Deutschlan...

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