Leitsatz (amtlich)

1. Der Rückruf im Sinn von § 140a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 PatG ist im Allgemeinen als unvertretbare Handlung nach § 888 ZPO zu vollstrecken.

2. In den Vertriebswegen ist der schutzrechtsverletzende Gegenstand, der sich bei keinem privaten Endverbraucher befindet, auch bei einem Gewerbetreibenden, der kein Händler ist, sondern den Gegenstand selbst als Endabnehmer nutzt.

3. Eine für den Rückrufanspruch hinreichende Möglichkeit weiteren Vertriebs kann sich daraus ergeben, dass es nach den Umständen denkbar ist, dass ein durch den gewerblichen Abnehmer mit dem schutzrechtsverletzenden Erzeugnis versehener Gegenstand durch diesen veräußert wird (wie hier eine Immobilie, in der verletzende Aluminiumdielen als Bodenbelag verbaut wurden).

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Vollstreckungsschuldnerinnen gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 19. Mai 2023, Az. 2 O 86/21 ZV II, wird zurückgewiesen.

2. Die Vollstreckungsschuldnerinnen tragen die Kosten der sofortigen Beschwerde.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Das Landgericht hat u.a. die hiesigen Vollstreckungsschuldnerinnen (nachfolgend Schuldnerinnen) auf die - auf behauptete Patentverletzung beim Vertrieb des Produkts "A[...]-Diele" als "Outdoor-Aluminiumboden" gestützte - Klage der Vollstreckungsgläubigerin (nachfolgend: Gläubigerin) mit rechtskräftigem Teil-Urteil vom 5. Juli 2021, Az. 2 O 86/21 (dortiger Hauptband, AS I 66 ff; nachfolgend LGU), insbesondere dazu verurteilt, bestimmte Aluminium-Dielen zur Herstellung einer Abdeckvorrichtung nach dort näher angegebenen Maßgaben "zurückzurufen oder endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen". Auf Antrag der Gläubigerin hat das Landgericht zur Erzwingung dieser den Schuldnerinnen auferlegten Handlungen Zwangsgelder jeweils in Höhe von 1.000 EUR, ersatzweise für je 500 EUR einen Tag - an [...] als gesetzlichem Vertreter hinsichtlich der Schuldnerin zu 1 und an [...] als gesetzlicher Vertreterin der Schuldnerin zu 2 vollziehende - Zwangshaft, auferlegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses des Landgerichts Bezug genommen. Mit ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde, die eine Aufhebung dieses Beschlusses begehrt, teilen die Schuldnerinnen mit, ein Rückruf sei nicht möglich; in den Vertriebswegen befinde sich nichts mehr; die in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse seien allesamt beim Endverbraucher verbaut und damit Eigentum der Endverbraucher geworden. Das Landgericht hat entschieden, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Wegen der Einzelheiten und der genauen Anträge wird ergänzend auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Schuldnerinnen bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Zwangsvollstreckungsantrag ist zulässig und begründet und rechtfertigt die ausgesprochenen Zwangsmittel.

a) Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, insbesondere ein zu Gunsten der (lediglich umfirmierten) Gläubigerin ergangener Titel, liegen nach den zutreffenden und nicht beanstandeten Feststellungen des Landgerichts vor.

b) Das Landgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die vorliegende Verurteilung zu Rückruf "oder" Entfernen durch die beantragte Festsetzung eines Zwangsgelds nach § 888 ZPO zu vollstrecken ist. Dies folgt daraus, dass zumindest eine dieser beiden Handlungen nicht vertretbar ist und das Urteil den Schuldnerinnen die Wahl überlässt, welche der beiden Maßnahmen sie hinsichtlich eines jeden Gegenstands vornehmen.

aa) Das nach dem Titel gebotene Verhalten liegt darin, die dort näher bezeichneten Erzeugnisse "zurückzurufen oder endgültig aus den Vertriebswegen zu entfernen" (und zwar verbunden mit den im Titel weiter geforderten Erklärungen gegenüber den Adressaten). Während die materielle Anspruchsgrundlage in § 140a Abs. 3 Satz 1 PatG, auf die das Urteil ausweislich seiner Gründe gestützt ist, mit der Konjunktion "oder" dem Gläubiger die Wahl einräumt, Rückruf oder Entfernen oder beides nebeneinander zu verlangen (vgl. BGHZ 215, 89 Rn. 11 ff - Abdichtsystem), überlässt die vorliegende Verurteilung mit derselben Konjunktion den Schuldnerinnen, an die sie gerichtet ist, die Wahl zwischen Rückruf oder Entfernen. Dies bestätigen die Urteilsgründe, die zur Auslegung des Titels heranziehen sind (vgl. BGH, GRUR 2015, 1248 Rn. 20 mwN - Tonerkartuschen; GRUR 2017, 208 Rn. 22 - Rückruf von RESCUE-Produkten). Das Landgericht ging bei der antragsgemäßen Verurteilung ausdrücklich davon aus, dass die Gläubigerin mit dem Klagebegehren den Rückruf und die Entfernung aus den Vertriebswegen in ein Alternativverhältnis zur Wahl der Beklagten gestellt hat (LGU 15).

bb) Erweist sich wenigstens eine dieser zur Wahl gestellten Handlungen als nicht vertretbar, so kann das Wahlrecht der Schuldnerinnen nicht dadurch übergangen werden, dass die Gläubigerin sich hinsichtlich der Alternative, sollte diese eine vertretbare Handlung sein, zur Vornahme nach § 887 ZPO ermächtigen lassen, sondern blei...

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