Leitsatz (amtlich)

Eine Rückführung in den Heimatstaat (hier: nach Ungarn) kann das Kind in eine unzumutbare Lage bringen, wenn dort während des laufenden Rückführungsverfahrens eine erstinstanzliche Behördenentscheidung ergangen ist, die den ausländischen Aufenthaltsort des Kindes bei der Mutter in Deutschland festgelegt hat.

 

Normenkette

HKÜ Art. 3, 12, 13 Abs. 1 lit. b

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Beschluss vom 23.10.2014; Aktenzeichen 1 F 294/14)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Karlsruhe vom 23.10.2014 (Az. 1 F 294/14) abgeändert und der Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes E. Z., geboren am ... 2007, nach Ungarn zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen beide Elternteile je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert wird für beide Instanzen festgesetzt auf 5.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Eltern streiten über die Rückführung des Kindes E. nach Ungarn.

Aus der nichtehelichen Beziehung der 36-jährigen Mutter mit dem in Ungarn lebenden 55-jährigen Vater ist der am ... 2007 in B. geborene Sohn E. hervorgegangen. Die Eltern sind nach ungarischem Recht gemeinsam Inhaber der elterlichen Sorge für E.. Der Umstand, ob die Eltern dauerhaft in Ungarn zusammenlebten, ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Vater hatte jedenfalls ein- bis zweimal wöchentlich zu unterschiedlichen Zeiten Kontakt zu E..

Die in Deutschland aufgewachsene Mutter hat in Ungarn eine Heilpraktikerausbildung abgeschlossen, zu deren Anerkennung in Deutschland sie noch eine Prüfung absolvieren muss. Derzeit bezieht sie Arbeitslosengeld II. Sie ist Mutter von zwei weiteren aus ihrer geschiedenen Ehe stammenden Kindern; die am ... 2002 geborenen Tochter E. und der am ... 2001 geborene Sohn B. leben beide mit ihr in Deutschland. Die Mutter hat mittlerweile einen neuen Lebensgefährten.

Der Vater ist armenischer Abstammung und jetzt ungarischer Staatsangehöriger; er praktiziert als Arzt in B.. Er ist Eigentümer mehrerer Wohnungen dort und kümmert sich um seine ebenfalls in B. lebende Mutter.

Am 17.9.2013 begab sich die Mutter von Ungarn aus mit E. nach Deutschland, um fortan hier zu leben. Sie wohnte mit den Kindern zunächst bei ihrem Vater in G.-M. und lebt seit Februar 2014 in G.-O..

E. verbrachte die Oster- und die Pfingstferien 2014 in Ungarn bei seinem Vater. Eine von der Mutter vorbereitete schriftliche Zustimmung zum weiteren Verbleib des Kindes in Deutschland, die ihm in den Pfingstferien übermittelt wurde, unterzeichnete der Vater nicht. Mit einem Besuch von E. beim Vater in den Sommerferien 2014 war die Mutter nicht einverstanden.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor dem AG am 17.10.2014 fand ein kurzer Umgangskontakt zwischen E. und seinem Vater in Begleitung der Mutter und der Vertreterin des Jugendamts statt. Zudem hielt sich E. in den Herbstferien vom 22. bis zum 28.10.2014 bei seinem Vater in B. auf. Dabei traten Schwierigkeiten bei der Rückgabe des Kindes an die Mutter auf; der Vater übergab E. zum vereinbarten Zeitpunkt am Montag, den 27.10.2014, nicht, sondern berief sich auf die im vorliegenden Verfahren am 23.10.2014 vom AG erlassene Rückführungsanordnung. Am Dienstag, den 28.10.2014, nahm die Mutter E. in Abwesenheit des Vaters aus dessen Wohnung in B. mit zurück in die Bundesrepublik.

E., der ungarisch und mittlerweile auch deutsch spricht, war im Sommer 2013 in eine B. Grundschule und nach der Übersiedlung nach Deutschland in die M.-Grundschule in G. eingeschult worden, wo er derzeit die zweite Klasse besucht. Seit der Rückkehr von seinem Aufenthalt beim Vater im Oktober 2014 nässt er nachts ein; die Mutter stellte ihn deshalb bislang zweimal bei einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vor. In der Schule leidet er nach Schilderung der Klassenlehrerin unter Konzentrationsschwierigkeiten, weint täglich und äußert Angst davor, dass sein Vater ihn hole.

In Ungarn ist ein auf Antrag beider Elternteile bei Gericht eingeleitetes Sorgerechtsverfahren anhängig. Auf Antrag der Mutter und nach Anhörung beider Elternteile am 21.11.2014 hat das Bezirksvormundschaftsamt des Bezirksamtes B. mit Beschluss vom 27.11.2014 (Geschäftszeichen: PE-02C/GYAM/1518-25/2014) für E. als ausländischen Aufenthaltsort den Wohnsitz der Mutter in G. bestimmt. Gegen diesen Beschluss hat der Vater mit Schriftsatz vom 3.12.2014 Berufung eingelegt, über die das Sozial- und Vormundschaftsamt entscheiden wird.

Mit am 12.9.2014 beim AG eingegangenem Schriftsatz hat der Vater die Rückführung E. nach Ungarn beantragt.

Der Vater hat u.a. behauptet, die Mutter habe das Kind ohne sein Wissen nach Deutschland gebracht und ihm lediglich mitgeteilt, sie werde ihre Eltern besuchen und bald zurückkehren. Später habe sie ihn aufgefordert, ebenfalls nach Deutschland zu kommen. Schließlich habe sie ihm gesagt, sie beabsichtige, nicht mehr nach U. zurückzukehren. Er, der Vater, habe sich in U. um das wirtschaftliche Wohl der Mutter und aller Kinder gekümmert. Er habe versu...

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