Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzung für die Heilung von Zustellungsmängeln durch Zustellung an den Verteidiger. Verfolgungsverjährung. Unterbrechung der Verjährung. Verfahren bei Zustellungen der Verwaltungsbehörde. Heilung von Zustellungsmängeln

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

  1. Lässt sich die ordnungsgemäße Zustellung des Bußgeldbescheids an den Betroffenen mangels in Rücklauf gelangter Zustellungsurkunde nicht nachweisen, steht jedoch aufgrund der Einspruchseinlegung fest, dass entweder der Betroffene den Bußgeldbescheid oder der Verteidiger eine ihm von der Bußgeldbehörde formlos übersandte Abschrift desselben erhalten hat, kann eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 51 Abs. 1 OWiG, § 9 BWLVwZG nur dann angenommen werden, wenn der tatsächliche Zugang der Abschrift des Bußgeldbescheides an den Verteidiger die Heilung der fehlerhaften Zustellung an den Betroffenen hätte bewirken können. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn der Verteidiger nicht kraft Gesetzes (§ 51 Abs. 3 S.1 OWiG) oder rechtsgeschäftlich ermächtigt war, Zustellungen für den Betroffenen entgegenzunehmen.
  2. Zeigt der Verteidiger gegenüber der Bußgeldbehörde unter Versicherung einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung die Verteidigung des Betroffenen an, ergibt sich hieraus allein nicht die Erklärung, dass der Verteidiger rechtsgeschäftlich zur Empfangnahme von Zustellungen bevollmächtigt ist. Denn nach außen erkennbar ist aufgrund der anwaltlichen Versicherung nur die Bevollmächtigung hinsichtlich der vom Verteidiger vorgenommenen Verteidigungshandlungen, während eine Zustellungsvollmacht passiven Charakter hat.
 

Normenkette

OWiG § 31 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 1 Nr. 9, § 51 Abs. 1; BWLVwZG § 9

 

Verfahrensgang

AG Titisee-Neustadt (Entscheidung vom 14.08.2020; Aktenzeichen A 22 OWi 530 Js 19222/20)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 14. August 2020 aufgehoben.
  2. Das Verfahren wird eingestellt.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
 

Gründe

I.

Mit Urteil vom 14. August 2020 hat das Amtsgericht N. den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße von 130,- € verurteilt und ihm für die Dauer eines Monats verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Das Verfahren ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO). Der Verfolgung der Tat steht deren Verjährung entgegen (§ 31 Abs. 1 S. 1 OWiG).

1. Die dreimonatige Verjährungsfrist aus § 26 Abs. 3 Hs. 1 StVG, die am 12. Januar 2020 - dem Tattag - zu laufen begonnen hatte (§ 33 Abs. 3 OWiG), wurde nur durch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen am 17. Februar 2020 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 OWiG unterbrochen. Damit trat mit Ablauf des 16. Mai 2020 (zur Fristberechnung siehe KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 31 Rn. 35 f.) Verjährung ein, so dass der Eingang der Akten beim Amtsgericht am 1. Juli 2020 keine erneute Unterbrechung der Verjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG) bewirken konnte.

2. Die Verjährungsfrist war nicht gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheids vom 28. April 2020, die zwingende Voraussetzung für eine Unterbrechung der Verjährung nach dieser Vorschrift ist, lässt sich nicht feststellen.

a) Es ist nicht nachweisbar, dass die von der Bußgeldbehörde veranlasste Zustellung des Bußgeldbescheids an den Betroffenen (§ 51 Abs. 1 OWiG, § 3 LVwZG) ordnungsgemäß bewirkt wurde, da die Postzustellungsurkunde nicht in Rücklauf gelangt ist.

b) Der Zustellungsmangel wurde nicht gemäß § 51 Abs. 1 OWiG, § 9 LVwZG geheilt.

aa) Es ist nicht feststellbar, dass dem Betroffenen das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zugegangen ist. Aus dem Umstand, dass der Verteidiger des Betroffenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat, lässt sich dies nicht ableiten, da die Bußgeldbehörde - wie von § 51 Abs. 3 S. 3 OWiG vorgeschrieben - zugleich formlos eine Abschrift des Bußgeldbescheids an den Verteidiger übersandt hatte.

Es ist zwar durchaus wahrscheinlich, dass der Betroffene - sollte ihn die Zustellung tatsächlich nicht erreicht haben - von seinem Verteidiger zumindest eine Kopie der an diesen übersandten Abschrift des Bußgeldbescheids erhalten hat. Der sichere Nachweis eines solchen Zugangs, wie er für eine Heilung erforderlich wäre, ist jedoch nicht zu führen, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob auf diese Weisung eine Heilung überhaupt hätte bewirkt werden können (vgl. etwa NK-VwVfG/Thomas Smollich, 2. Aufl., VwZG, § 8 Rn. 6 m.w.N.; siehe auch - mit Überblick zum Meinungsstan...

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