Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Bestellung eines Rechtsanwalts als Ergänzungspfleger für 16- oder 17-jährige Flüchtlinge für das Asyl- und Verwaltungsgerichtsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers für einen Minderjährigen nach § 1909 Abs. 1 BGB setzt ein Bedürfnis voraus, das durch einen gegenwärtigen konkreten Anlass begründet sein muss. Daran fehlt es, wenn der 16 - oder 17-jährige Minderjährige im Asylverfahren selbst handlungsfähig ist und ihm für eine Klage und den Antrag auf Prozesskostenhilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die nötigen Angaben selbst möglich sind.

2. Auch Art. 22 UN-Kinderrechtskonvention gebietet in diesen Fällen nicht die Bestellung eines Rechtsanwalts als Ergänzungspfleger für unbegleitete 16 - oder 17-jährige Flüchtlinge.

 

Normenkette

BGB § 1909 Abs. 1; VwVfG § 12 Abs. 1 Nr. 2; AsylVfG § 12 Abs. 1; UN-Kinderrechtskonvention Art. 22

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Beschluss vom 16.07.2010; Aktenzeichen 1 F 82/10)

 

Tenor

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Karlsruhe vom 16.7.2010 (1 F 82/10) wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Aufwendungen der Beteiligten werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Beschwerdeführer ist ein am ... 1993 geborener afghanischer Staatsangehöriger, dessen Eltern in Afghanistan verstorben sind. Am 23.2.2010 meldete sich der Beschwerdeführer in der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge als unbegleiteter Minderjähriger. Am 25.2.2010 nahm ihn die Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe in Obhut und beantragte die Einrichtung einer Amtsvormundschaft. Mit Beschluss des AG - Familiengericht - Karlsruhe vom 2.3.2010 wurde für den Beschwerdeführer Vormundschaft gem. § 1773 BGB angeordnet und die Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe, Abteilung B (im Folgenden: Jugendamt) als Vormund bestellt. Seit 11.11.2010 wohnt der Beschwerdeführer in einer Jugendhilfeeinrichtung in Ulm und besucht dort eine Schule.

Ein vom Beschwerdeführer gestellter Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 7.7.2010 abgelehnt. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch das Jugendamt, mit Schriftsatz vom 15.7.2010 Klage zum VG Karlsruhe (Az. A - 8 K 1721/10). Mit der Klage beantragte er, den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aufzuheben, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen; hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG vorliegen. Für die Klage beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beim VG.

Am 14.7.2010 hat das Jugendamt beim AG - Familiengericht - Karlsruhe beantragt, Rechtsanwalt B. M., Heidelberg, zum Ergänzungspfleger für die asyl- und ausländerrechtliche Betreuung zu bestellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weder das Jugendamt noch der Beschwerdeführer besäßen Rechtskenntnisse oder Kenntnisse über die derzeitige Situation in Pakistan und Afghanistan. Daher könnten sie das Klageverfahren gegen die Ablehnung des Asylantrags nicht sachgerecht führen. Eine Ergänzungspflegschaft sei trotz der Handlungsfähigkeit des Jugendlichen im Ausländerrecht ab dem 16. Lebensjahr einzurichten.

Das AG - Familiengericht - Karlsruhe hat den Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers für die asyl- und ausländerrechtliche Betreuung mit Beschluss vom 16.7.2010 zurückgewiesen. Das AG hat darauf abgestellt, dass der 17-jährige Beschwerdeführer gem. § 80 Abs. 1 AufenthG handlungsfähig und einem Volljährigen gleichzustellen sei. Daher sei er auf die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts und die Stellung eines Verfahrenskostenhilfeantrags zu verweisen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, die der Beschwerdeführer, vertreten durch das Jugendamt, erhoben hat. Zur Begründung führt der Beschwerdeführer aus, die gesetzliche Bestimmung über seine Handlungsfähigkeit im Asylverfahren schließe die Anordnung einer Pflegschaft nicht aus. Wenn bereits ein Amtsvormund keine ausreichende Sachkenntnis besitze, um sein Mündel in asyl- und ausländerrechtlichen Fragen zu betreuen, könne ein 16 - oder 17-jähriger unbegleiteter Flüchtling keinesfalls als hinreichend einsichtsfähig erachtet werden. Aus Kindeswohlgründen und unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes sei auch einem über 16-jährigen unbegleiteten Flüchtling ein Ergänzungspfleger zur Seite zu stellen. Im Übrigen stehe die Regelung in § 80 Abs. 1 AufenthG im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention. Die Ungleichbehandlung von Kindern unter und über 16 Jahren könne daher nicht aufrechterhalten werden.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 2.12.2010 den Beschwerdeführer persönlich angehört. Die Akte des VG Karlsruhe - A - 8 K 1721/10 - war beigezogen.

II. Die Beschwerde ist zulässig. Der nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigte Bes...

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