Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben, mit dem zur Sicherung des Nachlasses eine Nachlasspflegschaft angeordnet worden war, so ist ein potentieller Erbe auch dann zur weiteren Beschwerde berechtigt, wenn er sich nicht am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt hatte.

2. Zur Wirksamkeit eines gegen die Aufhebung einer Nachlasspflegschaft gerichteten Rechtsmittels, das für eine als Erbin in Betracht kommende schweizerische Stiftung gegen den Willen ihrer satzungsmäßigen Vertreter (Stiftungsräte) durch ihren Beistand, eingelegt wurde, dessen Bestellung ebenso wie die Anordnung der Beistandschaft durch die Stiftungsräte angefochten worden ist.

3. Bestehen ernstzunehmende Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers, so ist der Erbe unbekannt i.S.v. § 1960 BGB.

4. Ein die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft erforderndes Sicherungsbedürfnis i.S.v. § 1960 BGB ist anzunehmen, wenn der Nachlass nach Art und Umfang eine als ungewöhnlich schwierig und bedeutsame Verwaltung erfordert und wenn nach den Umständen eine den Belangen des noch unbekannten Erben gerechtwerdende Verwaltung durch den vom Erblasser über den Tod hinaus Bevollmächtigten nicht als gewährleistet angesehen werden kann. Der Wirkungskreis des in einem solchen Fall zu bestellenden Nachlasspflegers hat sich insb. auf die Überwachung des Bevollmächtigten zu beziehen.

5. Hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft ermessensfehlerhaft verneint, so kann das Rechtsbeschwerdegericht bei Entscheidungsreife unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts selbst entscheiden und dabei sein Ermessen selbständig ausüben.

6. Hat das Beschwerdegericht die vom Nachlassgericht angeordnete Nachlasspflegschaft aufgehoben, so kann diese nicht rückwirkend wiederhergestellt werden. Bei begründeter weiterer Beschwerde muss vielmehr die Nachlasspflegschaft neu angeordnet und muss ein Nachlasspfleger neu bestellt werden. Diese Ausführungshandlungen kann das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht selbst vornehmen, sie sind vielmehr dem Nachlassgericht vorbehalten.

 

Normenkette

BGB § 1960 Abs. 1-2; FGG §§ 27, 57 Abs. 1 Nr. 3, §§ 63, 75; ZGB Art. 83 Abs. 1, Art. 392 Nr. 2, Art. 393 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Beschluss vom 19.12.2003; Aktenzeichen 62 T 26/02 A)

 

Tenor

1. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 8 wird der Beschluss des LG Konstanz vom 19.12.2002 – 62 T 26/02 A aufgehoben.

2. Die Beschwerde der Beteiligten Nr. 6 und Nr. 7 gegen den Beschluss des Notariats II – Nachlassgerichts – Konstanz vom 5.2.2002 – II GR N 29/2002 – wird als unbegründet zurückgewiesen.

3. Das Notariat II – Nachlassgericht – Konstanz wird angewiesen, zur Sicherung des Nachlasses des am 3.1.2002 in Gerlingen verstorbenen Erblassers Dr. Dr. Gustav Paul Ludwig Rau eine Nachlasspflegschaft anzuordnen.

4. Die Beteiligten Nr. 6 und Nr. 7 haben die der Beteiligten Nr. 8 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

5. Der Geschäftswert wird sowohl für das Beschwerdeverfahren als auch für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 500.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.1. Der am 3.1.2002 im Alter von 79 Jahren ledig und kinderlos verstorbene Erblasser, der jahrzehntelang als Arzt in Zaïre gewirkt hatte, hatte im Laufe der Zeit eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen der Welt mit einem geschätzten Wert von mehreren 100 Mio. Euro aufgebaut. Als seine gesetzlichen Erben kommen die Beteiligten Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 in Betracht. Der Erblasser hatte zu Lebzeiten mehrere Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein errichtet, u.a. im Jahr 1971 die Dr. Rau'sche Medizinalstiftung („Medizinalstiftung”) mit derzeitigem Sitz in CH-8423 Embrach-Embraport/ZH (Beteiligte Nr. 9) und im Jahr 1986 die Fondation Rau pour le Tiers Monde/Stiftung Rau für die Dritte Welt („Drittweltstiftung”) mit derzeitigem Sitz in CH-8702 Zollikon/ZH (Beteiligte Nr. 8).

Nachdem der Erblasser der Beteiligten Nr. 6 – seiner langjährigen Vertrauten – bereits mit Urkunde vom 20.11.1981 Vollmacht in allen seinen Angelegenheiten über den Tod hinaus erteilt hatte, hat er ihr mit notarieller Urkunde vom 1.9.2000 Generalvollmacht in allen seinen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten erteilt, die durch den Tod oder eine eventuelle Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Erblassers nicht erlöschen sollte.

2. Bei den Nachlassakten befinden sich fünf vom Erblasser errichtete Verfügungen von Todes wegen, die am 22.1.2002 durch das Notariat – Verwahrungsgericht – Stuttgart bzw. – Erbvertrag vom 26.10.1999 – am 15.2.2002 durch das Notariat II – Nachlassgericht – Konstanz eröffnet worden sind:

a) Mit öffentlichem Testament vom 23.11.1993, beurkundet vom Notar des Kreises R. (Schweiz), hat der Erblasser unter Aufhebung sämtlicher früheren letztwilligen Verfügungen die Beteiligte Nr. 8 als Alleinerbin eingesetzt.

b) Mit ebenfalls vom Notar des Kreises R. beurkundetem Testament vom 4.7.1997 hat der ...

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