Leitsatz (amtlich)

1. Der Behandlungsvertrag der Patientin mit dem die Schwangerschaft betreuenden Gynäkologen besteht auch dann fort, wenn sich die Patientin in ein sog. Geburtshaus begibt und der Gynäkologe die Behandlung dort fortsetzt.

2. Die Beweislast dafür, dass dem Patienten der ärztliche Rat zur standardgemäßen Behandlung/Operation erteilt wird und der Patient diesen Rat nicht befolgt hat, trägt der Arzt.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 847

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 11 O 1022/99)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 29.01.2003; Aktenzeichen VIII ZR 155/02)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das am 31.8.2000 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Münster wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird das genannte Urteil – unter Zurückweisung dieses Rechtsmittels i.Ü. – teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger alle künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch die Behandlung durch den Beklagten zu 2) anlässlich seiner Geburt am 1.7.1997 entstanden sind, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versorgungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 36 % und der Beklagte zu 2) 64 %, davon 14 % gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1).

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Beklagte zu 2) 64 %, davon 14 % gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1).

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) trägt der Kläger zu 71 %. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, falls nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet, die jede Partei auch durch eine unbedingte, unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbringen kann.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers bei seiner Geburt am 1.7.1997 in Anspruch. Die Mutter des Klägers hatte 1993 ein erstes Kind per Kaiserschnitt entbunden. Wegen der Schwangerschaft mit dem Kläger war sie in betreuender Behandlung bei dem Frauenarzt … in Dortmund, und zwar ab dem 22.10.1996. Die Schwangerschaft lief im Wesentlichen problemlos. Allerdings kam Herr … zu der Auffassung, ein relativ großes Kind sei zu erwarten. Er vermittelte dieses dem Beklagten zu 1), der diese Auffassung dem Beklagten zu 2) weitergab. Am 21.5.1997 wechselte die Kindesmutter zu den Beklagten, die eine Gemeinschaftspraxis führen. Der Beklagte zu 1) nahm an diesem Tage ein erstes Gespräch mit der Kindesmutter wahr. In der ärztlichen Dokumentation ist unter diesem Tag verzeichnet „Akrophobie”, also eine Spritzenangst, und „evtl. TL” „will keine Sectio”. In der Folgezeit nahm der Beklagte zu 1) mehrere Ultraschalluntersuchungen u.a. zur Schätzung des Kindsgewichts vor. Die letzte dieser Messungen vom 18.6.1997 führte zu einer Schätzung des Gewichts von 3.325 g.

Am 1.7.1997 wurde die Mutter des Klägers im M.-Geburtshaus stationär wegen der zu erwartenden Geburt aufgenommen. Das M.-Geburtshaus steht unter der Leitung von Hebammen. Die Beklagten stehen zu diesem Geburtshaus in vertraglichen Verpflichtungen, die darin bestehen, dass die Beklagten sich auf Anforderungen der Hebammen zu Hilfen bei Geburten bereithalten müssen. In diesem Geburtshaus finden jährlich etwa 400 Geburten statt. Einer der Beklagten ist bei jeder dieser Geburten anwesend .Um 18.46 Uhr wurde eine Braunüle in die Armbeuge gelegt. Ab 20.20 Uhr ist ein kontinuierlich zeichnendes CTG vorhanden. Dieses weist ab 20.30 Uhr pathologische Werte auf (DIP II). Der gegen 20.40 Uhr informierte Beklagte zu 2) erscheint um 20.50 Uhr im Geburtshaus. Ab 21.20 Uhr, der Kopf des Klägers befand sich zu dieser Zeit in Beckenmitte, wurde die Wehentätigkeit durch Gabe eines Syntocinon-Tropfes unterstützt. Um 21.30 Uhr wurde der Kläger aus II. hinterer Hinterhauptlage durch Vakuumextraktion entwickelt und um 21.43 Uhr geboren. Der Dokumentation ist eine „extrem schwere Schulterentwicklung” zu entnehmen. Das Geburtsgewicht betrug 5.070 g. Der Kläger erlitt bei der Geburt eine Läsion des oberen und unteren Armplexus links.

Der Kläger hat die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes – Vorstellung: 100.000 DM – und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller Schäden in Anspruch genommen. Er hat behauptet, Gewichtsschätzungen der Beklagten seien fehlerhaft gewesen. Wegen des richtigerweise zu erwartenden sehr großen Kindes wäre von vornherein eine Entbindung per Kaiserschnitt angezeigt gewesen. Auch wegen des pathologischen CTG's sei am 1.7.1997 ab etwa 20.50 Uhr die Schnittentbindung geboten gewesen. Dann wäre der Plexusschaden nicht aufgetreten. Dieser sei dauerhaft. Die Beklagten haben eine regelrechte Behandlung der ...

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