Leitsatz (amtlich)

1. Die beklagte Gemeinde haftet grundsätzlich für einen Glatteis bedingten Unfallschaden, wenn bei entsprechenden Witterungsverhältnissen (vorangegangener Schneefall/Temperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt) morgens aufgebrachtes Tausalz (oder Tausalzlösung) wegen der starken Verdünnung durch so entstandenes Schmelzwasser wirkungslos wird, mit überfrierender Nässe in der folgenden Nacht zu rechnen ist und durch vorbeugendes Streuen in streupflichtiger Zeit unfallursächliche Glatteisbildung in nicht streupflichtiger Nachtzeit verhindert worden wäre.

2. Den Fahrzeugführer belastet bei einem Glätteunfall ein gravierendes Mitverschulden (hier: hälftig), wenn er nicht mit einer den Witterungsbedingungen angepassten Geschwindigkeit gefahren ist.

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 05.05.2005; Aktenzeichen 11 O 10/02)

 

Tenor

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das am 5.5.2005 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Essen werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger zu 76 % und die Beklagte zu 24 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(abgekürzt gem. § 540 ZPO)

I. Der Kläger befuhr als Taxifahrer am 5.12.1998 gegen 1.20 Uhr die L.-Straße in F von der Stadtmitte her kommend in nördlicher Richtung. Beim Überqueren der A.-Brücke kam er auf der nach F. führenden Gefällstrecke ins Schleudern und prallte mit dem Taxi gegen eine Straßenlaterne. Dabei zog er sich einen komplizierten Trümmerbruch des rechten Unterschenkels bzw. des oberen Sprunggelenkes zu.

Der Kläger hat behauptet, er sei mit dem Taxi ins Schleudern geraten, weil die L.-Straße im gesamten Bereich der A.-Brücke vereist gewesen sei. Die Beklagte habe im Unfallbereich keine ausreichenden Streumaßnahmen vorgenommen, obwohl schon am Vortag winterliches Wetter eingesetzt habe. Unstreitig herrschten im Bereich Essen seit dem Morgen des 4.12.1998 bei Temperaturen um 0 Grad flächendeckend Schneeglätte bzw. Glätte durch überfrierende Nässe. Der Kläger behauptet weiter, selbst dann, wenn die Beklagte am Morgen des 4.12.1998 gestreut haben sollte, dies nicht ausreichend gewesen sei, ein erneutes Vereisen der Zweigertbrücke zu verhindern. Wäre die Beklagte am 4.12.1998 ihrer wiederholten Streupflicht in dem gebotenen Maß nachgekommen, hätte sich an der Unfallstelle zur Unfallzeit kein Glatteis befunden.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in der Größenordnung von 100.000 DM, Ersatz seines mit 80.312,50 DM bezifferten materiellen Schadens (Haushaltsführungsschaden: 64.762,70 DM; Erwerbsschaden: 15.500 DM) und die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche künftige materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis in Anspruch.

Die Beklagte bestreitet die vom Kläger behauptete Glätte als Unfallursache und behauptet, der Unfall sei ausschließlich auf Fahrfehler des Klägers - wie etwa überhöhte Geschwindigkeit, Übermüdung oder Unaufmerksamkeit -zurückzuführen. Sie hat einen Verstoß gegen die ihr obliegende Streupflicht in Abrede gestellt. Insoweit ist im erstinstanzlichen Verfahren unstreitig geworden, dass die Unfallstelle am 4.12.1998 zwischen 6.40 Uhr und 8.35 Uhr von der Beklagten gestreut worden ist. Die am Morgen des 4.12.1998 vorgenommene Streumaßnahme habe bewirkt, dass die L.-Straße den ganzen Tag über glättefrei geblieben sei. Ein erneutes Bestreuen des Unfallbereichs im weiteren Verlauf dieses Tages sei nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen hat die Beklagte Einwendungen gegen die Höhe der geltend gemachten Ansprüche erhoben.

Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Winterdienst-Gutachtens dem Kläger ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR sowie materiellen Schadensersatz i.H.v. 3.926,51 EUR zugesprochen und dem Feststellungsantrag zu 50 % stattgegeben. Es hat eine Streupflichtverletzung der Beklagten sowie ein hälftiges Mitverschulden des Klägers als erwiesen angesehen, ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR für angemessen erachtet und einen Haushaltsführungsschaden des Klägers verneint.

Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Die Beklagte begehrt weiterhin Klageabweisung und rügt fehlerhafte Feststellungen des LG zur Frage der Eisglätte an der Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt sowie fehlende Feststellungen zum Anspruchsgrund (Glätte in streupflichtiger Zeit und Kausalität einer etwaigen Streupflichtverletzung für den Unfall). Ferner greift sie den Schmerzensgeldanspruch als überhöht an. Der Kläger verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter, jedoch hinsichtlich des Schmerzensgeldes nur noch in Höhe eines für angemessen erachteten Betrages von 20.000 EUR. Er beanstandet die Feststellungen des LG zu seinem Mitverschulden und zum Haushaltsführungsschaden.

II. Die zulässigen Berufungen der Parteien bleiben ohne Erfolg.

Die Beklagte haftet der Klägerin aus §§ 839 Abs. 1, 847 BGB (a.F.) i.V.m. § 1 StrReinG NW, Art. 34 GG für die Folgen des Unfalls vom 5.12.1998. Das LG ist...

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