Leitsatz (amtlich)

1. Tilgt der Kfz-Haftpflichtversicherer durch seine Leistung die Haftpflichtschuld seines Versicherungsnehmers ohne diesem gegenüber dazu verpflichtet zu sein, weil der konkrete Schaden von einem gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Risikoausschluss (hier: § 103 VVG) erfasst ist, kann er seine Leistung aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung von dem geschädigten Leistungsempfänger nur dann zurückverlangen, wenn er unter dem Vorbehalt der bestehenden Leistungsverpflichtung gegenüber dem Schädiger geleistet hat.

2. Der Vorbehalt der bestehenden Leistungsverpflichtung muss ausdrücklich erklärt werden oder sich für den Leistungsempfänger unzweideutig aus den Umständen des Falles ergeben. Allein das vermeintliche Bestehen eines Direktanspruchs nach § 115 VVG begründet nicht die Annahme, der Kfz-Haftpflichtversicherer habe sich die Rückforderung des Geleisteten für den Fall des Nichtbestehens seiner Freistellungsverpflichtung gegenüber dem Schädiger vorbehalten wollen.

 

Normenkette

BGB § 812; VVG §§ 103, 115

 

Verfahrensgang

LG Paderborn (Urteil vom 05.06.2014; Aktenzeichen 3 O 386/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5.6.2014 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Paderborn abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung auf Rückzahlung von Versicherungsleistungen für einen von ihrem Versicherungsnehmer, Herrn A T, verursachten Schaden aus einem Verkehrsunfall vom 12.7.2013 auf der B64 zwischen H und E in Anspruch.

Zum genannten Unfallzeitpunkt kollidierte der Versicherungsnehmer der Klägerin mit dem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Opel Astra mit dem aus der Gegenfahrichtung vom Zeugen K gesteuerten LKW der Beklagten ungebremst frontal, nachdem er die für seine Fahrtrichtung freigegebene Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 115 - 120 km/h verlassen und über die doppelte durchgezogene Mittellinie in die Gegenfahrbahn eingefahren war.

Dadurch entstand der Beklagten ein Schaden an dem in ihrem Eigentum stehenden LKW - einschließlich Gutachterkosten, Mietwagenkosten, Abschleppkosten, An- und Abmeldekosten, sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und einer Kostenpauschale - in Höhe von 64.466,15 EUR. Diesen Schaden hat die Klägerin auf entsprechende Aufforderung in mehreren Teilzahlungen in der Zeit vom 15.8.2013 bis zum 3.9.2013 beglichen.

Der noch am Unfallort verstorbene Versicherungsnehmer der Klägerin war Vater von zwei Kindern und lebte zum Unfallzeitpunkt seit ca. 5 Tagen von seiner Ehefrau getrennt. Ca. 3-4 Tage vor dem Unfall befand er sich wegen Einnahme einer Überdosis - gesundheitlich ungefährlicher - Hundestimmulanzien in stationärer psychologischer Behandlung im Evangelischen Krankenhaus in Holzminden. Außerdem hinterließ er im Elternschlafzimmer einen in türkischer Sprache verfassten Abschiedsbrief, in welchem er - sinngemäß übersetzt - mitteilte, er wolle nicht mehr leben, das Licht seines Lebens sei erloschen, seine Liebe habe ihm den Rücken zugekehrt. Wenige Minuten vor dem Unfall sandte er eine Textnachricht auf das Mobiltelefon seiner Ehefrau mit dem Inhalt, er wolle sie für ein neues Leben freigeben und damit ernst machen, was er die Tage zuvor nicht geschafft habe.

Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H im September 2013 forderte die Klägerin die vorgenannten Teilzahlungen auf den Schaden der Beklagten, mit der Begründung, dass sie diese in Unkenntnis der dargestellten persönlichen Verhältnisse ihres Versicherungsnehmers erbracht habe, von der Beklagten zurück.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, ihr stehe ein Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 I BGB) zu, weil sie gem. § 103 VVG von ihrer Leistungspflicht gegenüber ihrem Versicherungsnehmer frei geworden sei. Hierzu hat sie erstinstanzlich behauptet, ihr Versicherungsnehmer habe den Schaden der Beklagten vorsätzlich herbeigeführt, indem er den Verkehrsunfall in Suizidabsicht provoziert habe. Die vorbehaltlose Zahlung stehe ihrem Rückzahlungsbegehren nicht entgegen, da sie im Zeitpunkt der Zahlung keine Kenntnis vom Inhalt der Ermittlungsakte gehabt habe. Das Handeln ihres Versicherungsnehmers in Suizidabsicht ergäbe sich bereits aus den Umständen des Falles, insbesondere aus der Art des Unfallgeschehens, seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens unmittelbar vor dem Unfall.

Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 64.466,15 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszin...

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