Leitsatz (amtlich)

Ein Tierarzt, der bei der Behandlung eines Pferdes (hier rektale Fiebermessung) durch einen Tritt eine Verletzung (Trümmerbruch des rechten Daumens) erleidet, kann den Tierhalter deshalb nicht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, weil er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit auf eigene Gefahr handelt (im Ergebnis ebenso, jedoch mit anderer Begründung OLG Celle VersR 1990, 794; OLG Zweibrücken MDR 1996, 264; OLG Nürnberg VersR 1999, 240).

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 24.09.2007; Aktenzeichen 6 O 162/07)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.03.2009; Aktenzeichen VI ZR 166/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 24.9.2007 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte als Halterin des Pferdes "T" Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche (im Wesentlichen für behaupteten Verdienstausfallschaden) aus einem Unfallereignis vom 23.10.2006 geltend.

Die Beklagte hatte ihr Pferd -ein 700 kg wiegender, 10jähriger Araber- auf dem Hof des Zeugen C abgestellt. Am 23.10.2006 gg. 17.30h wurde der Kläger als Tierarzt bei dem Versuch einer mit der linken Hand geführten rektalen Fiebermessung von dem Pferd vor den rechten Daumen getreten, der dabei einen Trümmerbruch erlitt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung bezug genommen.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag i.H.v. 2.750 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 52.425,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 17,59 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das LG hat die Klage abgewiesen, da das Schadensereignis bereits nicht vom Schutzbereich des § 833 BGB umfasst sei. Insoweit wird auf die Urteilsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Der Kläger meint, das LG habe die Voraussetzungen des § 833 BGB verkannt. Der Schutzbereich des § 833 BGB sei vorliegend berührt. Es liege auch kein konkludenter Ausschluss der Tierhalterhaftung vor. In tatsächlicher Hinsicht vertieft der Kläger seinen Vortrag, dass er die Untersuchung des Pferdes mit der gebotenen Eigensorgfalt durchgeführt habe und mit dem Tritt des Pferdes nicht zu rechnen gewesen sei.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.3.2008 nebst Berichterstattervermerk Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus § 833 BGB (i.V.m. 253 Abs. 2 BGB), der insoweit allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.

Zwar hat sich in dem plötzlichen Tritt des Pferdes gegen den Daumen des Klägers eine typische Tiergefahr verwirklicht. Daraus folgt aber nicht automatisch eine Bejahung des klägerischen Anspruchs. Im vorliegenden Fall treffen die Tierhalterhaftung (Gefährdungshaftung) und die berufsspezifischen Risiken eines Tierarztes aufeinander, so dass sich die Frage nach einem Interessenausgleich stellt. Dabei geht es letztlich um eine "gerechte Zuweisung des Zufallsschadens" (BGH, NJW 1974, 234; OLG Celle VersR 1990, 794). Hierzu hat die Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze entwickelt, die gegebenenfalls zu einer Einschränkung der Haftung des Tierhalters führen können, wobei jedoch die dogmatische Einordnung in der Literatur als unklar und zum Teil umstritten bezeichnet wird (Palandt/Sprau, 67. Aufl., § 833 Rz. 8).

So soll eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des "Schutzbereichs der Norm" ausscheiden, wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr vorwiegend im eigenen Interesse übernommen hat (BGH, NJW 1974, 234; OLG Nürnberg VersR 1999, 140; OLG Zweibrücken MDR 1996, 264). Andererseits dürfe der Gedanke, den Umfang der Haftung einer Norm nach ihrem Schutzbereich zu begrenzen, nicht zu einer Aufweichung der Gefährdungshaftung führen. Daher soll schon eine gleiche Interessenlage nicht mehr ausreichen (BGH, NJW 1977, 2159), zumal eine derartige, im Einzelfall oft schwer zu treffende Wertung nach der Interessenlage, wenn sie...

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