Entscheidungsstichwort (Thema)

Sexueller Übergriff. entgegenstehender Willen. Samenerguss. Ejakulation

 

Leitsatz (amtlich)

1) Das durch § 177 Abs. 1 StGB geschützte Selbstbestimmungsrecht beinhaltet das Recht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Rechtsgutsinhaber mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist.(Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2020 - (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, juris).

2) Das Einverständnis mit dem vaginalen Geschlechtsverkehr kann unter die Bedingung gestellt werden, dass dieser vor dem Samenerguss zu beenden ist. Setzt sich der Sexualpartner bewusst absprachewidrig über diese vom Opfer gesetzte Grenze hinweg, stellt dies eine so erhebliche Abweichung vom konsentierten sexuellen Handlungsgeschehen dar, dass die sexuelle Handlung nicht mehr vom tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt und damit regelmäßig nach § 177 Abs. 1 StGB strafbar ist.

 

Normenkette

StGB § 177 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 67 Ns 164/20)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten am 06.05.2019 wegen Vergewaltigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben Verteidigung und Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

Mit Urteil vom 02.04.2020 hat das Landgericht das angefochtene Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird. Zugleich hat es die Berufung des Angeklagten verworfen.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 01.09.2020 das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 29.04.2021 hat das Landgericht sodann das Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2019 auf die Berufung des Angeklagten dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt bleibt und ihn hinsichtlich der ihm durch die Anklage zur Last gelegten Vergewaltigung freigesprochen.

Hinsichtlich des Vergewaltigungsvorwurfs hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin sich in den Wochen vor dem 10.12.2017 mehrfach, aber nie endgültig getrennt hatten. Nach einer Geburtstagsfeier des Zeugen A übernachteten der Angeklagte und die Geschädigte im Schlafzimmer von dessen Wohnung. Im Bett fing der Angeklagte an, sexuelle Handlungen mit der Geschädigten vorzunehmen, wobei unklar geblieben ist, wie genau er diese initiierte und wie die Geschädigte hierauf eingangs reagierte. Der Angeklagte vollzog sodann mit der Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Hierüber geriet die Nebenklägerin in Wut, da zwischen beiden abgesprochen war, dass der Angeklagte entweder mit einem Kondom den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollziehen dürfe oder sie oder er geeignete Mittel zur Verhinderung einer Schwangerschaft ergreifen sollten. Konkret benutzte die Geschädigte zur Verhütung entweder einen Vaginalring oder der Angeklagte zog den Penis aus der Vagina, bevor es zum Samenerguss kam.

Gegen dieses Urteil richtet sich die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten sowie die mit der Sachrüge begründete Revision der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin beanstandet, dass der Angeklagte nicht wegen sexuellen Übergriffs gem. § 177 Abs. 1 StGB verurteilt worden ist, obgleich er nach den tatsächlichen Feststellungen gegen die getroffene Absprache in ihr ejakuliert habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen und auf die Revision der Nebeklägerin das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Essen zurückzuverweisen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 25.01.2022 die Revision des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass hinsichtlich der ausgeurteilten Geldstrafe Zahlungserleichterungen bewilligt werden.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Revision der Nebenklägerin hat auf die Sachrüge hin Erfolg. Sie führt gem. §§ 349 Abs. 5, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, sowie im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache.

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Die Revis...

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