Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenführung des bei Pflegeeltern lebenden außerehelich geborenen Kindes und des leiblichen Vaters nach Entziehung des Sorgerechts der Mutter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die staatlichen Gerichte sind gehalten, bei der Auslegung der §§ 1666, 1666a BGB neben den Grundrechten aus Art. 2, 6 GG auch Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung sind die Vertragsstaaten verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Zusammenführung eines leiblichen Elternteilt mit seinem Kind zu ergreifen. Die effektive Achtung des Familienlebens erfordert darüber hinaus, dass zukünftige Beziehungen zwischen einem Elternteil und seinem Kind nicht durch bloßen Zeitablauf bestimmt werden.

2. Wenn der Kindesmutter das Sorgerecht für ihr bei Pflegeeltern lebendes, außerehelich geborenes Kind entzogen werden muss und noch keine tragfähige Bindung zwischen den erziehungsgeeigneten Vater und seinem Kind besteht, kann es angezeigt sein, allen Beteiligten einschließlich des Jugendamts zur Herbeiführung einer gewissen Planungssicherheit einen Zeitraum an die Hand zugeben, um im Rahmen vernünftiger längerer und unbegleiteter Umgangskontakte tragfähige Bindungen des Kindes auch an seinen leiblichen Vater entwickeln zu können.

3. Das Jugendamt ist gehalten, die auszuweitenden Umgangskontakte zu unterstützen und von den bisher konsequent aufrechterhaltenen Maßnahmen abzusehen, die die Trennung des Kindes von seinem Vater zur Folge hatten.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a; GG Art. 2, 6; EMRK Art. 8

 

Verfahrensgang

AG Halle (Westfalen) (Beschluss vom 14.08.2004; Aktenzeichen 5a F 172/03)

 

Tenor

Auf die befristete Beschwerde des Vaters wird der am 14.8.2004 verkündete Beschluss des AG - FamG - Halle (Westf.) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Personensorgerecht für J.F., geboren am ...2001, bleibt der Mutter - unter Zurückweisung ihrer Beschwerde - entzogen.

Der Antrag des Landrats des Kreises H, dem Vater die elterliche Sorge zu entziehen, wird zurückgewiesen.

Es wird angeordnet, dass das Kind J mindestens bis zum 31.3.2007 in der Obhut seiner Pflegeeltern, der Eheleute K, verbleibt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 3.000 EUR.

 

Gründe

Mit Beschluss vom 14.8.2004 hat das FamG den Beschwerdeführern, den leiblichen Eltern des betroffenen Kindes J, das Personensorgerecht entzogen und auf einen Pfleger übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach der Anhörung der Eltern, dem Bericht des Jugendamts, der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin und dem Gutachten der Sachverständigen sei davon auszugehen, dass das Wohl von J durch Versagen der Eltern derart gefährdet sei, dass beiden Eltern das Personensorgerecht zu entziehen sei. Die Kindesmutter sei offenkundig nicht in der Lage, sich verantwortlich um das Wohl von J zu kümmern. Eine Versorgung und ein Aufenthalt bei ihr komme nicht in Betracht. Die Sachverständige habe ausgeführt, dass die Mutter aufgrund ihrer vielfältigen Belastungen und ihrer psychischen Instabilität mit der Verantwortungsübernahme für ein Kind völlig überfordert gewesen und es somit zu gravierenden Defiziten in der Erziehung und in der Befriedigung der Bedürfnisse von J gekommen sei. Die in Js Verhalten festgestellten Entwicklungsdefizite und Auffälligkeiten - autoaggressives Verhalten, distanzloses Verhalten fremden Personen gegenüber, mangelndes Schmerzempfinden - wiesen auf eine unzureichende Wahrnehmung seiner primären Bedürfnisse nach Umsorgtwerden, Hilfe und Trost hin. Hinzu komme, dass die Mutter ihr Verhältnis zu den Großeltern, den Eltern des Vaters, offensichtlich idealisierend sehe und zu J's Großmutter in einer großen Abhängigkeit und Hörigkeit stehe, so dass sie keinen eigenen Standpunkt zur Versorgung ihres Sohnes einnehme, sondern lediglich den ihr von der Großmutter vorgegebenen Argumenten entspreche. Insgesamt könne die Mutter weder als geeignet zur Versorgung und Erziehung ihres Sohnes angesehen werden, noch als dazu im Stande, eine den Erfordernissen von J entsprechende Versorgungssituation durch andere herzustellen. Bei ihrer Anhörung habe sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass sie die Schwierigkeiten des Kindes erkenne, die mit einem Wechsel von der bisherigen Pflegefamilie zur Familie des Vaters einhergehen würden. Unter diesen Umständen könne ihr auch das Recht zur Bestimmung einer Pflegefamilie bzw. des Aufenthalts von J nicht belassen bleiben.

Auch der Vater habe in der Vergangenheit wenig elterliches Verantwortungsbewusstsein gezeigt, die bei J festzustellenden Entwicklungsrückstände und Verhaltensauffälligkeiten nicht wahrgenommen und berücksichtigt. Er habe nicht dazu beitragen können, trotz der problematischen Erziehungs- und Versorgungssituation im Haushalt der Mutter für seinen Sohn günstige Entwicklungsbedingungen zu ermöglichen. Er habe während der frühkindlichen Entwicklung J's nicht als kontinuierliche verlässliche Bezugsperson zur Verfügung gestanden. J habe kei...

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