Leitsatz (amtlich)

Die in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel lässt allein noch nicht auf den Willen der Eheleute schließen, ihre Kinder als Schlusserben einzusetzen.

Für das Eingreifen der Verwirkungsklausel ist es nicht erforderlich, dass der Pflichtteil tatsächlich ausgezahlt oder gerichtlich geltend gemacht wird. Es genügt vielmehr, dass der Abkömmling versucht hat, den Pflichtteil zu erhalten. Das ist der Fall, wenn er in objektiver Hinsicht den Pflichtteil ausdrücklich und ernsthaft fordert und in subjektiver Hinsicht dabei bewusst in Kenntnis der Verwirkungsklausel handelt. Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes oder gar böswilliges Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind nicht erforderlich.

An einer ernsthaften Geltendmachung des Pflichtteils fehlt es, wenn der Berechtigte den Pflichtteil nicht durch anwaltliche Schreiben anmahnt, sondern alsbald erklärt, die Ansprüche zurückzuziehen, nachdem ihm eine Kopie des die Pflichtteilsstrafklausel enthaltenen Testaments übersandt worden war.

 

Normenkette

BGB §§ 2269-2270

 

Verfahrensgang

AG Medebach (Aktenzeichen 9 VI 216/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1.) vom 19.08.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Medebach vom 17.07.2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beteiligten zu 2.) trägt der Beteiligte zu 1.).

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 199.027,73 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Kinder des Erblassers und seiner am 00.00.2018 vorverstorbenen Ehefrau. Der Erblasser errichtete mit seiner Ehefrau am 17.09.2003 ein gemeinschaftliches Ehegattentestament mit folgendem Inhalt:

"Unser Testament.

1. Wir B A, geboren 00.00.1936 und C A, geboren 00.00.1940 setzen uns gegenseitig als Erben ein.

2. Sollte ich, vor meiner Frau C sterben, erbt sie von mir den Anteil der Forstinteressengemeinschaft D

3. Sollte ein Kind nach dem Tod des ersten Verstorbenen das Pflichtteil verlangen, bekommt es nach dem Tod des Zweiten auch nur das ihm zustehende Pflichtteil.

D den 17.09.2003

B A

C A."

Die Beteiligte zu 2) erhielt vom Erblasser und seiner Ehefrau mehrmals Sach- und Geldleistungen, die mit insgesamt 20.272,00 EUR beziffert worden sind. Sie unterzeichnete am 09.12.2011 und 15.06.2012 Erklärungen, in denen es heißt, dass die Beträge "auf den Pflichtteil anerkannt werden". Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die handschriftlichen Erklärungen, Bl. 76 f. der Akten, verwiesen. Zu Lebzeiten übertrugen die Eltern der Beteiligten durch notariellen Vertrag vom 21.12.2016 ihr gesamtes Grundvermögen auf den Beteiligten zu 1). Dieser bestellte den Eltern ein lebenslanges Wohnungsrecht an der Immobilie Estraße 00 in F-D und verpflichtete sich zu bestimmten Versorgungsleistungen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Kopie der Vertragsurkunde, Bl. 64 ff. der Akte, Bezug genommen. Nach dem Tod des Erblassers bevollmächtigte die Beteiligte zu 2) den Rechtsanwalt G, der sich mit anwaltlichem Schreiben vom 18.11.2019 an den Beteiligten zu 1) wandte. In dem Schreiben heißt es wörtlich:

"2. (...) Ich habe Sie auch insoweit aufzufordern, gem. §§ 2314, 260 Abs. 1 BGB ein Nachlassverzeichnis des Nachlasses Ihrer (...) verstorbenen Mutter zu erstellen, (...). Schließlich habe ich Sie aufzufordern, den sich als Folge Ihrer Auskunftserteilung betreffend der gemeinsamen Mutter zu beziffernden Pflichtteilsanspruch meiner Mandantin einschließlich Pflichtteilsergänzung bis zum 05.12.2019 an meine Mandantschaft zu zahlen."

Wegen des weiteren Inhalts wird auf das vorgenannte Schreiben Bezug genommen (Bl. 10 ff. d. A.). Das gemeinschaftliche Testament der Eltern der Beteiligten wurde nach beiden Erblassern am 22.11.2019 vom Amtsgericht Medebach eröffnet. Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 11.12.2019 erklärte die Beteiligte zu 2) gegenüber dem Beteiligten zu 1), klarstellen zu wollen, dass lediglich "Pflichtteilsergänzungsansprüche gestellt werden, nicht jedoch Ansprüche auf Zahlung des Pflichtteils." Am 18.12.2019 erklärte die Beteiligte zu 2) zu Protokoll der Geschäftsstelle, dass sie keine Pflichtteilsansprüche habe geltend machen wollen. Es handele sich um einen Fehler ihres Anwalts. Sämtliche gemachten Ansprüche ziehe sie hiermit zurück.

Der Beteiligte zu 1.) hat die Erteilung eines Alleinerbscheins zu seinen Gunsten beantragt und sich darauf berufen, dass durch das Anwaltsschreiben der Beteiligten zu 2) vom 18.11.2019 die Pflichtteilsstrafklausel des gemeinschaftlichen Testaments in Kraft getreten sei (Ziff. 3 des Testaments). Der Wortlaut dieser Klausel sei eindeutig. Der Wille der Eltern sei gewesen, das den Pflichtteil verlangende Kind zu bestrafen, unabhängig davon, ob der Pflichtteil nach dem Tod des Erstversterbenden oder erst nach dem Tod des überlebenden Elternteils geltend gemacht werde. Die Eltern hätten ihm, dem Beteiligte zu 1), in einem Gespräch...

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