Leitsatz (amtlich)

In einem gemäss § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil müssen die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, ebenso ausführlich und vollständig enthalten sein, wie die Erwägungen des Tatrichters, sie als nicht genügende Entschuldigung anzusehen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung dieser Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit möglich ist.

 

Verfahrensgang

AG Herne (Entscheidung vom 04.02.2002)

 

Tenor

  • 1.

    Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

  • 2.

    Der Beschluss des Amtsgerichts Herne vom 18. Juli 2002 wird für gegenstandslos erklärt.

  • 3.

    Das Urteil des Amtsgerichts Herne 1 vom 4. Februar 2002 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Herne 1 zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Oberbürgermeister der Stadt Herne hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 8. Juni 2001 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 200, - DM festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Den dagegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht durch das angefochtene Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene war in der Hauptverhandlung nicht erschienen, nachdem er durch seinen Verteidiger per Telefax vom 1. Februar 2002 wegen Erkrankung, die er durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegte, um Verlegung des Hauptverhandlungstermins gebeten hatte.

Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt:

"Die von dem Betroffenen vorgetragenen Gründe sind keine genügende Entschuldigung, weil sich daraus nicht ergibt, ob er nicht in der Lage war, an einer etwa einstündigen Hauptverhandlung teilzunehmen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist insoweit unergiebig."

Mit am selben Tage eingegangenen Schriftsatz vom 5. Februar 2002 haben die Verteidiger des Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Teilnahme an der Hauptverhandlung beantragt und Rechtsbeschwerde gegen das ihnen am 12. Februar 2002 zugestellte Urteil eingelegt.

Der Wiedereinsetzungsantrag wurde zunächst durch das Amtsgericht Herne am 25. April 2002 und auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen durch das Landgericht Bochum am 6. Juni 2002 verworfen.

Das Amtsgericht Herne hat daraufhin durch am 23. Juli 2002 zugestellten Beschluss vom 18. Juli 2002 die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen, weil sie nicht begründet worden war.

Der Betroffene hat am 30. Juli 2002 durch seine Verteidiger mit näherer Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde und die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO, § 80 Abs. 4 S. 2 OWiG beantragt sowie die Begründung der Rechtsbeschwerde nachgeholt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, zu entscheiden, wie geschehen.

II.

1.

Dem Betroffenen war die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist zu gewähren, weil ihn an der Versäumung dieser Frist kein Verschulden trifft ( § 44 Satz 1 StPO ).

Er hat insoweit glaubhaft gemacht, die Notwendigkeit der fristgemäßen Begründung sei bei seinen Verteidigern über die Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrages und die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde in Vergessenheit geraten. Demnach beruht die Versäumung der Frist auf einem ihm nicht zuzurechnenden Verschulden seiner Verteidiger.

2.

Wegen der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der demgemäss erneut möglichen und rechtzeitig erfolgten Begründung der Rechtsbeschwerde war der Beschluss des Amtsgerichts Herne vom 18. Juli 2002 für gegenstandslos zu erklären.

3.

Die demnach zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in Sache - zumindest vorläufig Erfolg.

Die Urteilsbegründung des Amtsgerichts genügt nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäss § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteils zu stellen sind. Darin müssen nämlich die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, ebenso ausführlich und vollständig enthalten sein, wie die Erwägungen des Tatrichters, sie als nicht genügende Entschuldigung anzusehen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung dieser Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit möglich ist (vgl. der Senat in MDR 1997, 686; Bay ObLG, NJW 1999, 879; OLG Köln, NZV 1999, 261; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 75 Rdnr. 48 m.w.N.). Das ist dem Senat aufgrund der lückenhaften Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht möglich. Allein aus der Begründung, das durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermittelte Vorbringen des Betroffenen sei zur Entschuldigung seines Fernbleibens ungeeignet, ist für das Beschwerdegericht nicht ersichtlich, ob der Rechtsbegriff der genügenden Entschuldi...

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