Leitsatz (amtlich)

Ein Verweisungsbeschluss ist nicht grob fehlerhaft oder willkürlich, wenn er sich nicht mit der - auch von den Parteien des Rechtsstreits zuvor nicht thematisierten - Fragestellung befasst, ob ein Unterfrachtführer gem. § 30 I S. 3 ZPO an seinem eigenen Gerichtsstand gegen den Frachtführer klagen kann. Aus dem Gesamtzusammenhang des § 30 ZPO ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass mit der Norm für den Unterfrachtführer die Möglichkeit geschaffen werden sollte, nicht nur am allgemeinen Gerichtsstand des Frachtführers, am Übernahmeort oder am vorgesehenen Ablieferungsort, sondern auch an seinem eigenen Gerichtsstand gegen den Frachtführer zu klagen.

 

Normenkette

ZPO §§ 30, 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281

 

Verfahrensgang

AG Siegen (Aktenzeichen 14 C 2878/15)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Coburg.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung angeblich ausstehender Vergütung für einen am 27.04.2015 durchgeführten Gütertransport nebst Zinsen sowie Zinsen auf eine zwischenzeitlich beglichene weitere Forderung wegen eines am 18.04.2015 durchgeführten Gütertransports sowie vorgerichtliche Mahn- und Anwaltskosten im Zusammenhang mit den vorstehenden Forderungen.

Zum Gerichtsstand in Siegen trägt sie vor, dass die Parteien bereits vor dem ersten der gegenständlichen Auftrag in ständiger Geschäftsbeziehung gestanden hätten und insoweit Siegen als Gerichtsstand zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart gewesen sei. Anfragen seien per E-Mail erfolgt, die Klägerin habe jeweils darauf hingewiesen, dass Gerichtsstand Siegen sei. Beispielhaft legt sie eine dem zweiten Transport vorangegangene E-Mail vom 27.04.2015 vor, die nach der eigentlichen Nachricht Angaben zu Anschrift und Erreichbarkeit der Klägerin, Zertifizierungen und die Geltung der VBGL eine Zeile mit folgendem Inhalt enthält:

"Geschäftsführer K H Handelsregister Siegen ... ... ... Gerichtsstand Siegen"

Der Beklagte bestreitet die Vereinbarung des Gerichtsstands in Siegen. Vielmehr arbeite er ausschließlich auf Grundlage seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen, die als Erfüllungsort Coburg vorsähen. Die von der Klägerin vorgelegten die streitgegenständlichen Transporte betreffenden "Transportaufträge" des Beklagten enthalten in der Fußzeile jeweils einen entsprechenden Hinweis.

Nachdem die Klägerin hilfsweise die Verweisung an das AG Coburg beantragt hatte, hat sich das AG Siegen mit Beschluss vom 10.03.2016 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das AG Coburg verwiesen. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht getroffen worden, da in der vorstehend zitierten Angabe im E-Mail-Verkehr keine wirksame beiderseitige Vereinbarung liege. Das AG Coburg hat die Akten dem AG Siegen mit dem Hinweis auf eine Zuständigkeit gem. § 30 Abs. 1 S. 3 ZPO zurückgesandt: In Siegen befinde sich der Gerichtsstand des ausführenden Frachtführers. Das AG Siegen hat die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Die AGe Siegen und Coburg haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, da das im Verhältnis zu beiden AGen nächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und das im hiesigen befindliche Gericht in Siegen als erstes mit der Sache befasst war.

Zuständig ist das AG Coburg.

Dies folgt bereits aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des AG Siegen. Umstände, die ausnahmsweise die Bindungswirkung dieses Beschlusses entfallen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO wird nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt, wie etwa beim Übersehen eines besonderen Gerichtsstands, der sich nicht aufdrängte und von den Parteien nicht thematisiert wurde. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss nur dann, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist oder gar jeder Rechtsgrundlage entbehrt und aus diesen Gründen objektiv willkürlich ist. Ein solcher Ausnahmefall, wie er zum Beispiel bei der Verweisung durch ein nach damaligem Erkenntnisstand zuständiges Gericht unter Übergehung einer eindeutigen Zuständigkeitsvorschrift vorliegt, ist vorliegend nicht zu erkennen (vgl. zum Ganzen nur Zöller/Greger, 31. Auflage, 2016, § 281 ZPO Rn. 17 m.w.N.).

Dass das AG Siegen bei dem geschilderten Sachverhalt keine Vereinbarung eines Gerichtsstands in Siegen festgestellt hat, ist nicht zu beanstanden und wird auch vom AG Coburg nicht moniert.

Auch dass das AG Siegen keine Zuständigkeit nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 ZPO angenommen hat, ist im Ergebnis zumindest vertretbar und in jedem Fall nicht willkürlich. § 30 Abs. 1 S. 3 ZPO soll die gemeinsame Inanspruchnahme mehrerer Beförderer erleichtern (vgl. Musielak/Heinrich, 13. Auflage 2016, § 30 ZPO Rn. 2). Aus d...

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