Entscheidungsstichwort (Thema)

Volksverhetzung. "der freche Juden-Funktionär"

 

Leitsatz (amtlich)

Der Begriff des "frechen Juden" gehört zum charakteristischen Vokabular der Sprache des Nationalsozialismus; ohne Zweifel handelt es sich bei der Verwendung dieser Begrifflichkeit um eine auf die Gefühle des Adressaten abzielende, über die bloße Äußerung von Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer feindseligen Haltung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens, so dass diese Äußerung ein "Aufstacheln zum Hass" im Sinne von §130 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt.

 

Normenkette

StGB § 130 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Entscheidung vom 10.10.2019; Aktenzeichen 11 Ns 39/18)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 11. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 10. Oktober 2019 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. Januar 2020 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Bielefeld hat den Angeklagten am 22. Februar 2018 wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch Telefax seines Verteidigers vom 1. März 2018 Rechtsmittel eingelegt.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2019 hat die 11. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld das nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist als Berufung ausgelegte Rechtsmittel des Angeklagten verworfen. Wegen der Einzelheiten und insbesondere der getroffenen Feststellungen wird auf die u.a. bei juris veröffentlichen Gründe Bezug genommen (LG Bielefeld, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 011 Ns-216 Js 396/16-39/18 -, juris).

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Zuschrift vom 30. Dezember 2019, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Mit Gegenerklärung vom 24. Januar 2020 hat der Angeklagte zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Stellung genommen.

II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Erfolglosigkeit der Revision beruht auf den Gründen, die die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 30. Dezember 2019 dargelegt hat und die dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger zur Kenntnis gegeben worden sind. Mit Blick auf die Revisionsbegründung sowie die Gegenerklärung vom 24. Januar 2020 bemerkt der Senat lediglich - teilweise ergänzend - Folgendes:

1) Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO (Aufklärungsrüge) ist nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben worden.

Die Verfahrensrüge ist bereits deshalb unzulässig, weil es an einem vollständigen Tatsachenvortrag fehlt. Die Revision teilt nämlich nicht mit, dass, bzw. welchen Beweisantrag der Angeklagte in Bezug auf den Zeugen K gestellt hat und wie das Landgericht mit diesem Beweisantrag umgegangen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 244, Rdnr. 102).

Im Übrigen wäre die Aufklärungsrüge aber auch unbegründet. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht im Fall der vermissten Beweiserhebung zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre (s.u.).

b) Soweit mit der Revision die Verletzung des § 261 StPO gerügt wird, weil das Landgericht den Inhalt der Interneterklärung des Angeklagten einseitig zu dessen Lasten ausgelegt habe, ohne deren Mehrdeutigkeit zu würdigen, handelt es sich nicht um eine Verfahrens-, sondern um eine Sachrüge, da die Revision einen Erörterungsmangel rügt, der sich schon aus dem Urteil ergeben soll (vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, StPO § 261 Rdnr. 208). Ein derartiger Erörterungsmangel liegt jedoch nicht vor (s.u.).

2) Die näher ausgeführte Sachrüge vermag die Revision ebenfalls nicht zu begründen.

Soweit die Revision ausführt, die Äußerung des Angeklagten sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, ist dies unzutreffend. Denn bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen des Angeklagten hat das Landgericht die Anforderungen beachtet, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt nicht vorbehaltlos. Es findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 130 StGB n.F. gehört (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2002 - 1 BvR 232/97 -, juris, Rdnr. 9). Zutreffend ist zwar insoweit, dass die Verurteilung wegen einer Äußerung gegen Art. 5 Abs. 1 GG verstößt, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Veru...

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