Leitsatz (amtlich)

Es besteht keine Veranlassung, gegen einen Rechtsanwalt berufsrechtlich wegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot vorzugehen, wenn dieser im Rahmen einer Gegenvorstellung dem Bundesanwalt vorwirft, dass letzterer sich mit seiner Revisionsbegründung lediglich "oberflächlich" und nicht mit "ausreichendem juristischem Tiefgang" auseinandergesetzt habe und dessen Stellungnahme "willkürlich" sei. Solche Äußerungen sind zwar an der Grenze des Hinnehmbaren, jedoch unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit tolerierbar.

 

Tenor

Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Rechtsanwalt Bernd Brüntrop vor dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Hamm wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens werden der Rechtsanwaltskammer auferlegt.

 

Gründe

In der Anschuldigungsschrift vom 20.03.2007 wirft die Generalstaatsanwaltschaft Rechtsanwalt Brüntrup vor, gegen das Sachlichkeitsgebot (§§ 43, 43a III BRAO) vetstoßen zu haben und sich dadurch innerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, nicht würdig erwiesen zu haben. Als Verteidiger eines in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten nahm Rechtsanwalt Brüntrup in dem Strafverfahren des Bundesgerichtshofs 3 StR 237 06 zu der Revisionsstellungnahme eines Bundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 11.07.2006 Stellung. Mit seinem Schriftsatz vom 21.08.2006 warf er dem Bundesanwalt, den er als "Revisionsspezialist" bezeichnete, vor, wahllos Textbausteine aneinandergefügt und dadurch unzulässig in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen zu haben Weiter führt Rechtsanwalt Brüntrup aus, der Bundesanwalt habe sich nur oberflächlich und nicht mit ausreichendem "juristischen Tiefgang" mit seiner differenzierten Revisionsbegründung auseinandergesetzt. Die Stellungnahme des Bundesanwalts sei willkürlich und enthalte zu einer Verfahrensrüge nur "Plattitüden unter Ignorierung elementarer Verfassungsprinzipien", zu einer weiteren Verfahrensrüge sei sie "gelinde ausgedruckt einfach unglaublich"

Gemäß § 43a III BRAO ist dem Rechtsanwalt unsachliches Verhalten bei seiner Berufsausübung untersagt. Unsachliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn es sich um die Verbreitung von Unwahrheiten oder herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben Berufsrechtlich relevante Verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot beschränken sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1988, Seite 191) auf folgende drei Fallgruppen:

  • 1.

    Wenn sich ein Anwalt bei seiner Berufsausübung über andere in einer nach Inhalt und Form strafbaren Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) äußert, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckt zu sein;

  • 2.

    wenn er bewusst Unwahrheiten verbreitet (Verbot der Lüge);

  • 3.

    wenn er den Kampf ums Recht durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.

Die Fallgruppe 2 "Bewusste Verbreitung von Unwahrheiten" scheidet hier ersichtlich aus.

Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, die Rechtsanwalt Brüntrup zur Last gelegten Formulierungen erfüllten den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) Dieser Tatbestand setzt voraus, dass über eine andere Person eine Tatsache behauptet oder verbreitet wird, welche dieselbe verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist. Die in der Anschuldigungsschrift wiedergegebenen Zitate erfüllen unter Berücksichtigung von § 193 StGB diese Voraussetzungen nicht. In der Rechtsprechung, auch der des Bundesverfassungsgerichts, ist anerkannt dass Rechtsanwälte mit scharfen und überzogenen Formulierungen Kritik an Richtern, Staatsanwälten, Beamten und Rechtsanwälten üben dürfen, sofern dem ein berechtigtes Anliegen zugrunde liegt und die Grenzen zur Formalbeleidigung und Schmähkritik nicht überschritten werden (Hänssler/Prütting, BRAO, § 43a, Rd-Nr. 104 m. Rechtsprechungsnachweisen). Die Grenze des § 193 StGB ist nur dann überschritten, wenn ehrverletzende Tatsachen bewusst unrichtig dargestellt werden oder ihre Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (Tröndle Fischer: StGB, § 193, Rd-Nr. 28). Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 04.08.1998 (NJW 1998, Seite 3214 ff) dazu ausgeführt, dass Äußerungen eines Rechtsanwalts innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die der Rechtsverfolgung und der Rechtsverteidigung dienen, grundsätzlich durch das Grundrecht der Betätigungsfreiheit des Art. 2 I GG sowie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 I GG) besonders unter Schutz gestellt seien Jeder Verfahrensbeteiligte könne danach grundsätzlich auch starke, eindringliche Ausdrucke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne dass es darauf ankommt, ob seine Kritik hätte anders formuliert werden können. Der strafrechtliche Ehrenschutz darf nicht dazu zwingen, dass rechtserhebliche Tat...

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