Leitsatz (amtlich)

Eine Gerichtsstandbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist abzulehnen, wenn keines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zuständig und keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründet ist. Eine in diesem Fall ausgesprochene Verweisung an ein unzuständiges Gericht kann unverbindlich sein. Der Verweisungsbeschluss ist dann aufzuheben und die Sache an das verweisende Gericht zu erneuten Zuständigkeitsprüfung zurückzugeben.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

AG Münster (Aktenzeichen 140 C 163/19)

 

Tenor

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Münster vom 19.02.2019 wird aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Münster zurückgegeben.

 

Gründe

I. Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

Dem Rechtsstreit liegt - soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang - im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin, die Malerbedarfsartikel produziert und vertreibt, macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche i.H.v. von 1.023,60 EUR zzgl. Nebenforderungen aus einem Vorfall vom 16.07.2016, bei dem der Beklagte nach bislang unstreitigem Sachvortrag einen Mitarbeiter der Klägerin vorsätzlich verletzt hat, geltend. Der Klägerin ist infolge der für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit erfolgten Lohnfortzahlung ein entsprechender Schaden entstanden.

Dem Klageverfahren ist ein vor dem Amtsgericht Hagen - Mahnabteilung - geführtes Mahnverfahren unter dem Aktenzeichen 18-2437341-0-8 vorausgegangen. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abzugeben sei, hatte die Klägerin das Amtsgericht Münster benannt.

Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid, Abgabe an das Amtsgericht Münster und Hinweis des Amtsgerichts Münster auf dessen mit Blick auf den Wohnsitz des Beklagten in Berlin fehlende örtliche Zuständigkeit hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.02.2019 (eingegangen beim Amtsgericht Münster am 19.02.2019) die Aufhebung des für den 28.02.2019 anberaumten Verhandlungstermins und Verweisung an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg beantragt. Sodann hat sich das Amtsgericht Münster mit Beschluss vom selben Tage (19.02.2019) ohne vorherige Anhörung des Beklagten zu dem klägerischen Verweisungsantrag für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht Münster ausgeführt, dass sich der Wohnort des Beklagten im Bezirk des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg befinde.

Mit Beschluss vom 01.03.2019 hat das Amtsgericht Charlottenburg - nun seinerseits ohne vorherige Anhörung der Parteien - die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Akten dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt unter Verweis darauf, dass mit Blick auf den Wohnsitz des Beklagten nicht die Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg, sondern des Amtsgerichts Köpenick gegeben sei.

Der Senat hat die Parteien mit Verfügung vom 25.03.2019 angehört. Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, dass auch sie nach erneuter Prüfung das Amtsgericht Köpenick für zuständig erachte. Der Beklagte hat keine Stellungnahme abgegeben.

II. Die Voraussetzungen einer Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen im Ergebnis nicht vor.

1. Das Amtsgericht Münster und das Amtsgericht Charlottenburg haben sich zwar beide im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht Münster hat den Rechtsstreit durch den grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren und den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 19.02.2019 an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen. Das Amtsgericht Charlottenburg hat durch den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 01.03.2019 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Verfahren dem Oberlandesgericht Hamm zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

2. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO an sich zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das Amtsgericht Münster als das zuerst mit der Sache befasste Gericht zum hiesigen Bezirk gehört.

3. Das Amtsgericht Charlottenburg ist an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Münster vom 19.02.2019 nicht gebunden.

Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend, da - im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen - im Interesse der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gese...

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