Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorrang einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung vor einer Betreuerbestellung auf Antrag. Betreuungssache

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten ist bereits dann im Sinne des § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich, wenn der Betroffene aufgrund seiner konkreten Lebenssituation einen nachvollziehbaren Grund hat, von einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung abzusehen und stattdessen eine Betreuerbestellung für diesen Aufgabenkreis zu beantragen.

Dafür genügt es, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die Tätigkeit eines Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen.

 

Normenkette

BGB § 1896 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Herford (Aktenzeichen 6 XVII B AG 291)

LG Bielefeld (Aktenzeichen 25 T 564/00)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Auf die erste Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluß des Amtsgerichts vom 01.09.2000 abgeändert.

Die für die Betroffene bereits bestehende Betreuung wird um den Aufgabenkreis Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten erweitert. Zum Betreuer wird auch insoweit der Beteiligte zu 2) bestellt.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1) hat mit Schreiben vom 20.04.2000 bei dem Amtsgericht beantragt, für sie eine „umfassende Betreuungspflegschaft” einzurichten und ihren Sohn, den Beteiligten zu 2), zum Betreuer zu bestellen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das sie sich seit mehreren Jahren in psychiatrischer Behandlung bei dem Arzt für Neurologie Dr. Sch. befinde und mehrere Krankenhausaufenthalte in der Psychiatrischen Klinik des Krankenhauses … erforderlich gewesen seien. Mit der Abwicklung des Nachlasses ihres am 06.02.2000 verstorbenen Ehemannes fühle sie sich völlig überfordert. Weiterhin hat die Beteiligte zu 1) zur Begründung ihres Antrags ein ärztliches Zeugnis des Herrn Dr. Schreiber vom 16.05.2000 vorgelegt, das lautet:

„Bei Frau B. ist eine manisch-depressive Erkrankung bekannt und ein epileptisches Anfallsleiden. 1998 sah ich Frau Blödow vertretungsweise, seit 11/99 nach einem epileptischen Anfall wiederholt. Es lag anfänglich eine maniforme Denkbeschleunigung bei gleichzeitiger Desorientiertheit vor, jetzt ist die Patientin eher depressiv gehemmt, etwas ratlos, zeitlich unsicher orientiert und im Denken verlangsamt. Gezielt auf die Regelung der Erbschaftsangelegenheit angesprochen sind nur unsichere und wenig verwertbare Aussagen zu erhalten. Aus medizinischer Sicht ist Frau B. krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihr finanziellen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Dieses sieht sie selbst ebenso. Aus neurologischer Sicht sehe ich darüber hinaus auch die Einrichtung einer Betreuung für medizinische Behandlung und die Aufenthaltsbestimmung angezeigt, da insbesondere bei manischen Phasen zu erwarten ist, daß eine einvernehmliche Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung nicht immer zu erwarten sein wird. Hierzu war die Patientin unentschlossen. Die Fähigkeit der Patientin, ihrem Sohn zur Abwicklung der Vermögensangelegenheiten eine wirksame Vollmacht zu erteilen, scheint mir nicht eingeschränkt zu sein.”

Das Amtsgericht hat die Beteiligten zu 1) und 2) am 19.06.2000 persönlich angehört. Dabei hat der Beteiligte zu 2) erklärt, er kümmere sich bereits seit Jahren um die Angelegenheiten seiner Eltern. Er werde sich nunmehr von der Betroffenen eine schriftliche Vollmacht für die Wahrnehmung ihrer Vermögensbelange erteilen lassen. Durch Beschluß vom selben Tage hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2) zum Betreuer für die Betroffene mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit der Betroffenen und die Aufenthaltsbestimmung, soweit sie sich auf stationäre Krankenhausaufenthalte bezieht, mit der Maßgabe bestellt, daß über die Fortdauer der Betreuung bis zum 18.06.2005 zu entscheiden ist.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 07.07.2000 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, den Aufgabenkreis der Betreuung im Hinblick auf die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten zu erweitern. Ihr gehe es vorrangig um eine Betreuerbestellung für diesen Aufgabenkreis, weil sie krankheitsbedingt ihre finanziellen Angelegenheiten nicht selbständig regeln könne.

Durch Beschluß vom 01.09.2000 hat das Amtsgericht eine Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung mit der Begründung abgelehnt, die Betroffene sei aufgrund ihrer fortbestehenden Geschäftsfähigkeit zur Erteilung einer Vollmacht in der Lage, so daß auf dieser Grundlage ihre Vermögensangelegenheiten von ihrem Sohn wahrgenommen werden könnten.

Gegen diesen Beschluß hat die Betroffene mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11.09.2000 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen geltend gemacht, die Bestellung eines Betreuers auf ihren Antrag sei nicht an das Erfordernis gebunden, für den Aufgabenkreis der einzurichtenden Betreuung ihre Geschäftsunfähigkeit festzustellen.

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