Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Scheidung nach islamisch-sunnitischem Recht; Anzuwendendes Ehescheidungsrecht nach der für seit dem 21.06.2012 anhängige Verfahren allein maß-geblichen Rom-III-Verordnung: Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 8a) oder Rechtswahl nach Art. 5, international anzuwendendes Scheidungsrecht, Versorgungsausgleichsrecht und Scheidungsfolgen-recht, Wirksamkeit eines vor dem Scharia-Richter im Libanon anlässlich der Eheschließung abgeschlosse-nen Ehevertrages mit der Vereinbarung eines "Mahr" (Morgen- und Abendgabe); Recht der Ehefrau auf Einforderung der Abendgabe trotz eigenen Stellens des Scheidungsantrags im Rahmen des Ordre Public

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein mit der Beschwerde gerügter etwaiger Verstoß des erstinstanzlichen Scheidungsverbundbeschlusses gegen die §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 308 Abs. 1 ZPO wegen der Entscheidung über eine zu Protokoll der letzten mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragte Folgesache wird im Beschwerdeverfahren jedenfalls dadurch geheilt, dass der Beschwerdegegner die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und sich dadurch im Wege der - noch im Beschwerdeverfahren möglichen - Antragserweiterung den diesbezüg-lichen Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu eigen macht.

2. Eine gegenüber Art. 8a) Rom-III-Verordnung vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-Verordnung liegt nicht in dem Abschluss eines Ehevertrages über Mor-gen- und Abendgabe vor einem libanesischen Scharia-Gericht aus Anlass der Eheschließung.

3. Vereinbaren Ehegatten anlässlich der Eheschließung durch islamisch-sunnitischen Ehevertrag zugunsten der Ehefrau die Zahlung eines - in eine bei Eheschließung fällige Morgengabe und eine im Falle der Ehescheidung fällige Abendgabe unterfallenden - "Mahr", genügt dieser vor einem Scharia-Gericht ge-schlossene und protokollierte Vertrag der im deutschen Recht vorgesehenen notariellen Form des § 1410 BGB.

4. Während sich das international anzuwendende Recht für den Anspruch auf die Morgengabe vor Einge-hung der Ehe nach dem "Verlöbnisstatut" und während des Bestehens der Ehe nach Art. 14 EGBGB richtet, bestimmt sich das auf die - erst anlässlich der Ehescheidung fällig werdende - Abendgabe anzuwendende Sachrecht wegen des unterhaltsähnlichen Versorgungscharakters zugunsten der Ehefrau nach Art. 3 Abs. 1 und den Art. 5, 6, 7 und 8 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (HUntProt).

5. Stellt die Ehefrau den Scheidungsantrag und beruft sich der Ehemann zur Verteidigung gegen die im Verbund mit der Ehescheidung geltend gemachte Zahlung der Abendgabe auf deren nach den Art. 80-90, 343 des Libanesischen Familiengesetzes vom 16.07.1962 nur bei Scheidungsverstoßung ("talaq") durch ihn eintretende Fälligkeit, verstößt dies gem. Art. 6 EGBGB sowie entsprechend den Art. 10, 12 Rom-III-Verordnung gegen den deutschen Ordre public und das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

 

Normenkette

FamFG § 65 Abs. 4, § 69 Abs. 1 S. 3, § 113 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 2; ZPO § 308 Abs. 1 S. 1, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; Brüssel-IIa-Verordnung Art. 3a; Rom-III-Verordnung Art. 1 Abs. 2, Art. 2, 5, 7 Abs. 1c, Art. 8a, 10, 12, 18 Abs. 1; BGB §§ 242, 1410, 1564, 1565 Abs. 1-2, § 1566 Abs. 1, §§ 1567, 1570 ff., §§ 1579, 1609 Nr. 1; EGBGB Art. 6, 14 Abs. 1 Nr. 2, Art. 17 Abs. 3 S. 1; VersAusglG § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 18 Abs. 1-3; libanesisches Familiengesetz von 1917 Art. 33-37 Fassung: 1962-07-16, Art. 80-90 Fassung: 1962-07-16, Art. 102-109 Fassung: 1962-07-16, Art. 343 Fassung: 1962-07-16, Art. 349a Fassung: 1962-07-16, Art. 349c Fassung: 1962-07-16, Art. 349d Fassung: 1962-07-16, Art. 349e Fassung: 1962-07-16; HUntProt Art. 3 Abs. 1, Art. 5-8

 

Verfahrensgang

AG Bochum (Beschluss vom 17.11.2015; Aktenzeichen 6 O 270/14)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Bochum vom 17.11.2015 (Az.: 60 F 270/14) wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 17.260,00 EUR festgesetzt (Ehescheidung: 3.000,00 EUR, Versorgungsausgleich: 1.000,00 EUR und Abfindungszahlung: 13.260,00 EUR = 15.000,00 US-Dollar).

 

Gründe

I. Der Antragsgegner (31 Jahre alt, deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung) wendet sich mit der Beschwerde gegen den familiengerichtlichen Beschluss, der seine Ehe mit der Antragstellerin (27 Jahre alt, Libanesin) geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsgegner zur Zahlung einer Abfindung von 15.000,00 US-Dollar (nach dem Wechselkurs, Stand 19.04.2016: rund 13.260,00 EUR) an die Antragstellerin verpflichtet hat.

Die Beteiligten sind verwandt; der Vater des Antragsgegners ist der jüngere Bruder des Vaters der Antragstellerin. Der Antragsgegner zog mit seiner Familie im Alter von wenigen Monaten im Jahre 1985 aus dem Libanon nach Deutschla...

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