Leitsatz (amtlich)

Nach Eintritt der Rechtshängigkeit ist das Wahlrecht der klagenden Partei unter mehreren Gerichtsständen gem. § 35 ZPO grundsätzlich auch dann verbraucht, wenn sie erst nachträglich von den ein Wahlrecht begründenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dementsprechend darf nach Eintritt der Rechtshängigkeit grundsätzlich keine Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 ZPO an das auch örtlich zuständige Gericht erfolgen.

 

Verfahrensgang

AG Essen (Aktenzeichen 23 C 236/11)

AG Andernach (Aktenzeichen 63 C 609/11)

 

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das AG Essen bestimmt.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Makler, mit seiner zunächst vor dem AG Essen anhängigen Klage wegen behaupteter Verstöße gegen Pflichten aus dem Maklervertrag auf Schadensersatz i.H.v. 4.966,71 EUR in Anspruch.

Die Klage konnte dem Beklagten unter der vom Kläger mitgeteilten Anschrift in F nicht zugestellt werden, da der Beklagte zwischenzeitlich nach N verzogen ist.

Mit Verfügung vom 6.7.2011 hat das AG Essen die Parteien darauf hingewiesen, dass das AG Essen unzuständig sei, da der Wohnort des Beklagten im Bezirk des AG Andernach gelegen sei. Der Beklagte erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer etwaigen Verweisung an das AG Andernach binnen zehn Tagen. Diese Verfügung ist dem Beklagten am 14.7.2011 zugestellt worden.

Das AG Essen hat sich auf Antrag des Klägers - eingegangen bei Gericht bereits am 13.7.2011 - mit Beschluss vom 15.7.2011 ohne weitere Begründung für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das AG Andernach verwiesen.

Dieses hat sich jedoch nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 11.8.2011 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem OLG Hamm zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe zwar zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen allgemeinen Gerichtsstand im hiesigen Gerichtsbezirk gehabt. Dennoch sei das AG Andernach unzuständig, da neben dem allgemeinen Gerichtsstand noch die Gerichtsstände des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) und der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) gegeben seien. Seien mehrere Gerichtsstände gegeben, von denen keiner ein ausschließlicher sei, habe die klagende Partei das Wahlrecht unter diesen Gerichtsständen (§ 35 ZPO). Dieses Wahlrecht habe die klagende Partei durch Einreichung der Klage beim AG Essen ausgeübt. Damit seien dieses Wahlrecht und damit auch die Zuständigkeit des Gerichts des allgemeinen Gerichtsstands erloschen. Eine Zuständigkeit des hiesigen Gerichts sei auch nicht gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO gegeben, da der Verweisungsbeschluss des AG Essen objektiv willkürlich und daher nicht bindend sei.

Die Bindungswirkung trete nicht ein, wenn den Parteien vor der Verweisung kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Dies sei bezüglich des Beklagten der Fall. Zwar sei ihm die Verfügung des AG Essen vom 6.7.2011 mit dem Hinweis auf die Unzuständigkeit des AG Essen und der Einräumung der Stellungnahmefrist von zehn Tagen am 14.7.2011 zugestellt worden. Allerdings sei der Verweisungsbeschluss bereits am nächsten Tag erlassen worden, ohne die dem Beklagten eingeräumte Stellungnahmefrist abzuwarten. Dies komme der Versagung des rechtlichen Gehörs gleich.

Ferner trete die Bindungswirkung nicht ein, wenn das verweisende Gericht seine eigene Zuständigkeit im Hinblick auf das Vorhandensein eines seine Zuständigkeit begründenden besonderen Gerichtsstands überhaupt nicht erwogen und geprüft habe. So liege der Fall hier. Das verweisende Gericht habe unmittelbar nach Rücksendung der an die frühere Geschäftsadresse des Beklagten gesandten Klage und Mitteilung der Wohnanschrift des Beklagten mit der Verfügung vom 6.7.2011 darauf hingewiesen, dass der Wohnort des Beklagten nicht im Gerichtsstand Essen, sondern in dem des AG Andernach liege und daher das AG Essen unzuständig sei. Weder dieser Verfügung noch dem Verweisungsbeschluss sei zu entnehmen, dass das verweisende Gericht überhaupt daran gedacht habe, dass seine Zuständigkeit möglicherweise aufgrund eines besonderen Gerichtsstands begründet sein könnte.

Vorliegend seien die besonderen Gerichtsstände der §§ 29 und 32 ZPO nach dem hier maßgeblichen Vortrag in der Klagebegründung gegeben.

Das AG Essen sei daher für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses des AG Andernach vom 11.8.2011 Bezug genommen.

B. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

I. Die AG in Essen und Andernach haben sich beide rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt.

II. Das OLG Hamm ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO zu der Bestimmung berufen, da zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste AG Essen gehört.

Zudem liegen die für eine Zuständigkeitsbestimmung in Betracht kommenden Gerichtsstände in den Bezirken verschiedener OLG, so dass das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH wäre.

C. Als zuständiges Gericht ist das AG Essen...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge