Leitsatz (amtlich)

1. Ist der Unterhalt für die Vergangenheit tituliert, begründet dies eine Vermutung dafür, dass der Unterhaltsschuldner zu diesem Zeitpunkt den Bedarf und die Bedürftigkeit der Unterhaltsgläubigerin und seine eigene vom Gericht bejahte Leistungsfähigkeit kannte. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Anspruch aufgrund tatsächlicher Leistungsfähigkeit und nicht lediglich aufgrund fiktiven Einkommens festgestellt wurde.

2. Die Kenntnis des Unterhaltsschuldners wird durch von diesem erhobene Verwirkungseinwände nicht in Frage gestellt, wenn er nach durchgeführter Beweisaufnahme durch Beschluss des Gerichts darauf hingewiesen wurde, dass die Voraussetzungen einer Verwirkung (aktuell) nicht gegeben seien.

3. Für die Pflichtwidrigkeit bei dem Unterlassen der Unterhaltszahlung genügt das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht alleine nicht; vielmehr müssen zudem Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit des Schuldners gegeben sein.

4. § 302 Nr. 1 Alt. 2 InsO ist nicht als deliktisch oder deliktsähnlich zu qualifizieren, so dass für die Verjährung nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Anspruch aus vorsätzlicher Verletzung der Unterhaltspflicht einen anderen Streitgegenstand hat als der gesetzliche Unterhaltsanspruch (im Anschluss an KG, Beschluss vom 29.8.2019 - 13 UF 91/19 - BeckRS 2019, 27750 sowie FamRZ 2020, 275).

 

Normenkette

BGB § 1579 Nrn. 2, 7; InsO § 302 Nr. 1 Alt. 2

 

Verfahrensgang

AG Lüdenscheid (Aktenzeichen 5 F 920/17)

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lüdenscheid vom 19.7.2019 abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt der Antragsteller.

 

Gründe

I. Die am 15.6.1998 geschlossene Ehe der Beteiligten wurde nach Trennung im Januar 2009 am 25.4.2014 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind die Kinder A, geboren am 27.2.2000, und B, geboren am 25.1.2002, hervorgegangenen; A lebt im Haushalt des Antragstellers und B lebt im Haushalt der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin nahm den Antragsteller in dem Verfahren 5 F 876/09 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Lüdenscheid im Wege des Stufenantrags auf die Zahlung von Kindes- und Ehegattenunterhalt in Anspruch. Die Beteiligten schlossen am 16.4.2010 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Lüdenscheid einen Teilvergleich, in dem sich der Antragsteller u.a. zur Zahlung des Mindestunterhalts für die Kinder an die Antragsgegnerin ab Mai 2010 verpflichtete. Der Antragsteller wurde im Wege des Teilanerkenntnisurteils vom 16.4.2010 verurteilt, der Antragsgegnerin Auskunft über die Höhe seines Einkommens zu erteilen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurden Sachverständigengutachten zu dem Einkommen beider Beteiligte eingeholt und eine Beweisaufnahme zu den vom Antragsteller erhobenen Verwirkungseinwänden durchgeführt. Der Antragsteller behauptete, die Antragsgegnerin habe im September 2008 trotz intakter Ehe eine intime Beziehung mit dem Zeugen C angefangen und unterhalte eine eheähnliche Beziehung zu dem Zeugen D, mit dem sie seit September 2009 zusammenwohne. Das Amtsgericht wies den Antragsteller mit Beschluss vom 11.2.2011 darauf hin, dass eine Verwirkung gemäß § 1579 Nr. 7 BGB nicht bewiesen, und mit Beschluss vom 1.2.2013, dass eine Verwirkung gemäß § 1579 Nr. 2 BGB aktuell nicht anzunehmen sei. Das Verfahren dauerte 5 Jahre.

Mit Beschluss vom 19.12.2014 des Amtsgericht - Familiengericht - Lüdenscheid wurde der Antragsgegner u.a. verpflichtet, an die Antragstellerin Kindesunterhalt für B in Höhe von 14.565,07 EUR für die Zeit vom 1.4.2009 bis 30.11.2014 sowie in Höhe von 160% des Mindestunterhaltes abzüglich hälftigem Kindergeld ab dem 1.12.2014 und Ehegattenunterhalt in Höhe von 56.261,35 EUR für die Zeit vom 1.4.2009 bis zum 30.6.2013 zu zahlen. Für die Zeit danach ging das Amtsgericht von einer Verwirkung des Trennungsunterhaltsanspruchs gemäß § 1579 Nr. 2 BGB wegen einer verfestigten Lebensgemeinschaft der Antragsgegnerin aus.

Auf den Kindesunterhalt wurden im Wege der Zwangsvollstreckung Zahlungen in Höhe von 6.023,41 EUR geleistet; Zahlungen auf den Trennungsunterhalt wurden nicht erbracht. Die Antragsgegnerin pfändete ab Herbst 2010 den Kindesunterhalt aus dem Teilvergleich vom 16.4.2010.

Am 31.1.2017 wurde bei dem Amtsgericht Hagen über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren eröffnet (Aktenzeichen: 100 IN 2/17). Am 6.2.2017 meldete die Antragsgegnerin zur Insolvenztabelle unter Nr. 2 Unterhaltsforderungen in Höhe von insgesamt 100.722,92 EUR an, die sich wie folgt zusammensetzten:

Trennungsunterhalt 56.261,35 EUR

Unterhalt für A 19.714,70 EUR

Unterhalt für B 24.461,66 EUR

Kosten 285,21 EUR

Dabei gab die Antragsgegnerin an, dass die angemeldete Forderungen von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 InsO ausgenommen sein sollen, da die Verbindlichkeiten des Schuldners aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt resultierten, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt habe. Bei der Eintragung der Forderung in Höh...

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