Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge: Teilsorgerechtsentzug wegen der Weigerung baptistischer Eltern, ihre Kinder die Grundschule besuchen zu lassen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Dem staatlichen Erziehungsauftrag kommt für das Wohl des Kindes eine derart hohe Bedeutung zu, dass die Vorenthaltung des Schulbesuchs als Mißbrauch des Sorgerechts anzusehen ist.

2. Neben der Wissensvermittlung sollen schulpflichtige Kinder die Gelegenheit erhalten, durch den gemeinsamen Schulbesuch in das Gemeinschaftsleben hineinzuwachsen.

3. Der Erziehungsauftrag des Staates ist eigenständig und dem Erziehungsrecht der Eltern gleichgeordnet.

4. Es ist davon auszugehen, dass für den Einzelnen die Ausübung seiner Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG naturgemäß Beschränkungen unterliegt, da es in einer pluralistischen Gesellschaft faktisch unmöglich ist, bei der weltanschaulichen Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Elternwünschen vollständig Rechnung zu tragen.

 

Normenkette

BGB § 7 Abs. 2, § 11 S. 1, §§ 1666, 1666a; SchulG NW § 34

 

Verfahrensgang

AG Paderborn (Beschluss vom 07.03.2006; Aktenzeichen 8 F 811/05)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 17.10.2007; Aktenzeichen XII ZB 42/07)

 

Tenor

Die namens der betroffenen Kinder durch die Rechtsanwälte I und T2 in T eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des AG - FamG - Paderborn vom 7.3.2006 wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des AG - FamG - Paderborn vom 7.3.2006 wird als unzulässig verworfen, soweit mit ihr die Verfahrenspflegerbestellung unmittelbar angegriffen wird.

Im Übrigen wird ihre Beschwerde zurückgewiesen.

Der Prozesskostenhilfeantrag der Beteiligten zu 1. wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1. tragen die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000 EUR.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1. sind die Eltern der betroffenen grundschulpflichtigen Kinder. E hat die ersten beiden Schuljahre einer öffentlichen Grundschule besucht. Seit dem Schuljahr 2004/2005 - 3. Schulklasse - nimmt er am Unterricht nicht mehr teil. N hätte im Schuljahr 2004/2005 eingeschult werden sollen. Die Einschulung ist nicht erfolgt. Die betroffenen Kinder haben noch weitere Geschwister. Die älteren Kinder haben öffentliche Schulen wie Hauptschule, Realschule, Gymnasium besucht oder besuchen sie noch. Die jüngere Schwester K (geb. ...) ist dagegen mittlerweile ebenfalls nicht in Deutschland eingeschult worden (vgl. Bl. 384 d.A.).

Die Beteiligten zu 1. sind gläubige Baptisten. Am 6.9.2004 erschien der Beteiligte zu 1. in der Grundschule und teilte mit, dass die beiden Kinder ab sofort nicht mehr am Unterricht der Grundschule teilnehmen und über die deutsche Fernschule in ####1 X zu Hause unterrichtet werden. Das Verhalten wurde im Wesentlichen damit erklärt, dass der Besuch der staatlichen Schule aus religiösen Gründen abgelehnt werde. Ausweislich des Berichtes des Jugendamtes der Stadt Q vom 7.7.2005 (Bl. 73a f. d.A.) gab der Beteiligte zu 1. ggü. dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes an, dass für den Fall einer positiven Entscheidung des Gerichts auch die älteren Kinder die weiterführenden Schulen verlassen würden. Bei der deutschen Fernschule in X handelt es sich weder um eine öffentliche Schule, noch um eine staatlich anerkannte oder vorläufig erlaubte Ersatzschule i.S.d. § 6 Abs. 5 Schulpflichtgesetzes NRW a.F., §§ 34 Abs. 3, 101 SchulG NRW.

Trotz Aufforderungen und mehrfachen Hinweisen durch die Schulleitung und das Schulamt, der Schulpflicht nachzukommen, schickten die Beteiligten zu 1) die betroffenen Kinder nicht wieder zur Schule. Auch das gegen die Eltern angestrengte Bußgeldverfahren und die sich anschließende rechtskräftige Verurteilung der Eltern - Urteil des AG Paderborn vom 9.5.2005 zu 27 Owi 441 Js 225/05 Owi 93/05 - zur Zahlung eines Bußgeldes von je 250 EUR führte nicht dazu, dass die Beteiligten zu 1. die betroffenen Kinder wieder zur Schule brachten. Die Einschaltung des Integrationsbeauftragten der Landesregierung Anfang 2005 blieb ebenso erfolglos. Die zwangsweise Zuführung der betroffenen Kinder im Wege des Verwaltungszwanges ist bislang nicht durchgesetzt worden. Die Beitreibung festgesetzter Verwaltungszwangsgelder scheiterte bislang an der fehlerhaften Androhung der Zwangsgelder, da hier das Schulamt und nicht die Schulleitung tätig geworden war. Die Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen sind nach Widerspruch der Beteiligten zu 1. und nach einer Entscheidung des VG Arnsberg in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in anderer Sache vom Schulamt aufgehoben worden. Die Schulleitung beabsichtigt nunmehr, Zwangsgeldverfahren erneut einzuleiten.

Der Beteiligte zu 1. hat am 5.7.2005 mit weiteren glaubenszugehörigen Eltern anderer Kinder einen Antrag auf Genehmigung einer Ersatzschule gestellt. Weder die Verfahrensdauer noch das Ergebnis des Antrags ist derzeit...

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