Entscheidungsstichwort (Thema)

Deutsches Strafrecht. Geltung für Auslandstaten. Befassungsverbote. Verfahrenshindernisse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verfahrensvoraussetzungen, die Befassungsverbote betreffen, prüft das Revisionsgericht von Amts wegen selbständig im Freibeweisverfahren. Es ist dabei an die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht gebunden. Dies gilt auch für die Frage der deutschen Gerichtsbarkeit. Das Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB legt auch den Zuständigkeitsbereich deutscher Strafgerichte fest.

2. Im Rahmen des § 7 Abs. 1 StGB kommt es lediglich darauf an, dass die Tat am Tatort mit Strafe "bedroht" ist, nicht, dass sie dort auch tatsächlich verfolgt werden kann.

 

Normenkette

StGB § 7 Abs. 1, § § 3 ff.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 13 Ns 129/19)

 

Tenor

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels, einschließlich der der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

 

Gründe

Zusatz:

1.

Dass das angefochtene Urteil keine Feststellungen enthält, die eine Überprüfung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts für die in der Türkei verübte erste Tat nach § 7 StGB erlauben würden (insbesondere ist die Staatsangehörigkeit der Geschädigten nicht festgestellt worden), gefährdet den Bestand des Urteils nicht.

Verfahrensvoraussetzungen, die Befassungsverbote betreffen, prüft das Revisionsgericht von Amts wegen selbständig im Freibeweisverfahren. Es ist dabei an die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht gebunden (BGH NJW 1960, 1116; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 337 Rdn. 6; vgl. auch Werle/Jeßberger in: LK-StGB, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rdn. 10). Dies gilt auch für die Frage der deutschen Gerichtsbarkeit (BGH a.a.O.; vgl. auch BGH NStZ 1986, 320; BGH NStZ 1995, 440, 441; BGH, Beschl. v. 19.11.2003 - 2 StR 280/03 - juris). Das Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB legt auch den Zuständigkeitsbereich deutscher Strafgerichte fest (OLG Saarbrücken NJW 1975, 508, 509; Werle/Jeßberger a.a.O. Rdn. 7).

Der Senat hat sich nach Einholung einer Auskunft des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht nebst Beschaffung des einschlägigen türkischen Rechtstextes davon überzeugt, dass eine Vergewaltigung zum Tatzeitpunkt in der Türkei unter Strafe stand und zwar auch eine zum Nachteil der eigenen Ehefrau verübte Vergewaltigung. Soweit Art. 102 Abs. 2 S. 2 des türkischen StGB vorsieht, dass Ermittlungen nur dann eingeleitet und Anklage nur dann erhoben wird, wenn das Opfer als Ehefrau des Täters Strafanzeige stellt, kann der Senat dahinstehen lassen, ob etwaige Anforderungen an eine solche Strafanzeige nach türkischem Recht zu erfüllen wären bzw. hier erfüllt wurden und ob eine fehlende Strafanzeige eventuell nach dem am Tatort geltenden Strafrecht ein Verfahrenshindernis darstellt (vgl. Art. 73 des türkischen StGB).

Selbst wenn ein solches hier nach türkischem Recht vorläge, würde das die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nicht hindern. Im Rahmen des § 7 Abs. 1 StGB kommt es schon nach dem Wortlaut insoweit lediglich darauf an, dass die Tat am Tatort mit Strafe "bedroht" ist, nicht aber auch darauf, dass sie dort auch tatsächlich verfolgt werden kann (BGH NJW 1954, 1086; i.E. auch: Fischer, StGB, 67. Aufl., § 7 Rdn. 7; aA etwa: Ambos in MK-StGB, 3. Aufl., § 7 Rdn. 12 m.w.N.). Auch die Entstehungsgeschichte spricht dafür, dass ein fehlender, nach Tatort-strafrecht erforderlicher Strafantrag die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht hindert, da die ausdrückliche Erwähnung der Beachtlichkeit ausländischer Verfahrenshindernisse (insbesondere des Fehlens eines Strafantrages) früherer Gesetzesfassungen in § 7 StGB nicht übernommen wurden (Werle/Jeßberger a.a.O. § 7 Rdn. 45). Zwar mag es sein, dass der Gesetzgeber eine solche Regelung zunächst aus systematischen Gründen außerhalb des materiellen Strafrechts im Strafprozessrecht verankern wollte (vgl. dazu Scholten NStZ 1994, 266, 267). Dazu ist es aber schließlich nicht gekommen. Die historische Auslegung spricht damit jedenfalls nicht gegen die Wortlautauslegung. Würde man die Gerichte bei der Auslegung des Merkmals "mit Strafe bedroht" zu eng an den Willen des Tatortstaates binden, so könnte die Tat selbst dann nicht mehr verfolgt werden, wenn an deren Strafverfolgung im Inland ein ganz erhebliches Schutzinteresse besteht (Scholten NStZ 1994, 266, 271).

Der Senat hat sich ferner durch Einholung der Kopie der Einbürgerungsurkunde davon überzeugt, dass die Geschädigte Deutsche ist und bereits zum Tatzeitpunkt war.

2.

Zur Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 6 StPO merkt der Senat ergänzend an, dass die Rüge allein schon deswegen unbegründet ist, weil die Öffentlichkeit nach der Vernehmung der Zeugin L - und damit vor Verlesung und Erörterung de...

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