Leitsatz (amtlich)

Der gewöhnliche Aufenthalt des Art. 4 S. 1 HKÜ richtet sich nach dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Kindes. Dieser Lebensmittelpunkt bestimmt sich nach dem Schwerpunkt der sozialen und familiären Intergration des Kindes.

 

Normenkette

HKÜ Art. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Beschluss vom 13.10.2011; Aktenzeichen 3 F 212/11)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 20.01.2012; Aktenzeichen 1 BvR 153/12)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG Hamm vom 13.10.2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Kindesmutter vor der Anwendung unmittelbaren Zwangs die Möglichkeit eingeräumt wird, T bis zum 23.1.2012 freiwillig nach Kanada zurückzuführen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Kindeseltern lernten sich im Jahr 2005 in Kuba kennen. Sie führten in der Folge zunächst eine Fernbeziehung, indem der kanadische Antragssteller in Kanada, die deutsche Antragsgegnerin in E2 lebte. Am 13.5.2009 wurde der gemeinsame Sohn T in E2 geboren, der die deutsche und kanadische Staatsangehörigkeit besitzt. Der Antragsteller erkannte die Vaterschaft für T durch Jugendamtsurkunde an.

Die Kindesmutter, die Stewardess bei der Fluggesellschaft C3 ist, nahm mit der Geburt von T Elternzeit bis zum 12.5.2012. Sie lebte die ersten zwei Lebensmonate von T mit diesem in Deutschland, kündigte dann ihre Wohnung und lebte seither -mit Unterbrechungen für Deutschlandaufenthalte- in Kanada. Dort hatte der Kindesvater, der als Geschäftsführer im elterlichen Unternehmen (Kaffeekette) tätig ist, im Frühjahr 2009 ein Haus für die Familie in C/C2 gekauft und renoviert. Am 9.9.2009 erhielt die Kindesmutter eine Daueraufenthaltsgenehmigung für Kanada. Am 30.10.2009 heirateten die Kindeseltern in C4/C2, Kanada. Ab Februar 2011 war die Kindesmutter aushilfsweise im Betrieb ihrer Schwiegereltern tätig.

Die Antragsgegnerin war -ebenso wie T- weiterhin in Deutschland bei ihrer Mutter gemeldet. Sie hielt sich regelmäßig für einige Wochen in Deutschland auf.

Am Abend des 6.7.2011 teilte der Antragsteller die Antragsgegnerin mit, sie mit einer anderen Frau betrogen zu haben. Hierauf reagierte die Antragsgegnerin mit der Erklärung, die Trennung zu wollen. Auch erklärte sie, mit T nach Deutschland fahren zu wollen. Die weiteren Einzelheiten dieses Gesprächs sowie der weitere Verlauf bis zur Ausreise der Antragsgegnerin sind zwischen den Eheleuten streitig. Unstreitig war Auslöser für die Beichte des Kindesvaters, dass dieser von dem Freund seiner Geliebten bedroht wurde. Dieser Freund war im Betrieb des Kindesvaters erschienen und hatte sinngemäß erklärt, dasselbe mit der Antragsgegnerin tun zu wollen, was der Antragsteller mit seiner Geliebten getan habe. Der Antragsteller hatte daraufhin die Polizei eingeschaltet und ein Annäherungsverbot erwirkt.

Die Kindesmutter setzte ihre Ankündigung - nach Deutschland zu fliegen - um. Sie packte vier Koffer mit ca. 100 kg Gepäck, u.a. Spielsachen und Bekleidung. Die Kindeseltern buchten für die Antragsgegnerin und T ein Flugticket mit dem Flug von Toronto nach Düsseldorf am 10.7.2011 und dem Rückflug von Düsseldorf nach Toronto am 15.9.2011. Am 10.7.2011 stellte der Antragsteller der Antragsgegnerin eine Bescheinigung des Inhalts aus, dass er der Kindesmutter erlaube, mit T zu reisen.

Am selben Tag brachten der Antragsteller und sein Vater die Antragsgegnerin und T zum Flughafen. Dort ließ sich der Antragsteller eine Erklärung unterzeichnen, die ihn ebenfalls zu Reisen mit T ermächtigte. Den kanadischen Pass von T behielt der Kindesvater bei sich. Die Antragsgegnerin reiste mit einer Kreditkarte, die ihr Zugriff auf das Konto des Antragsgegners ermöglichte.

Seit dem 10.7.2011 hält sich die Antragsgegnerin mit T in Deutschland im Haushalt ihrer Mutter auf.

Nach ihrer Ankunft schrieb der Antragsteller der Antragsgegnerin SMS und zwei E-Mails, in denen er u.a. die Mitteilung eines Rückreisetermins erfragte und sodann explizit die Rückkehr des Kindes verlangte, ohne dass eine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgte. Ende Juli 2011 sperrte der Antragsteller der Antragsgegnerin die Kreditkarte.

Am 4.8.2011 wandte der Antragsteller sich telefonisch an die Polizei in E2 und gab dort an, die Kindesmutter sei mit seinem Einverständnis mit T nach Deutschland gereist, um ihre Mutter zu besuchen. Da sie nun nicht mehr erreichbar sei, bat er um Sicherstellung, dass es dem Kind gut gehe. Am selben Tag nahm die Polizei Kontakt zur Antragsgegnerin auf, die erklärte, sie sei mit schriftlichem Einverständnis des Vaters nach Deutschland gereist, um nachzudenken. Sie habe sich entschieden, sich zu trennen und nicht nach Kanada zurückzukehren.

Mit Schriftsatz vom 1.9.2011 leitete der Antragsteller beim AG Hamm ein Verfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ein.

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, indem die Kindesmutter nicht nac...

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