Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer D & O-Versicherung mit eingeschlossenem Strafrechtsschutz kann der Versicherer, wenn er zu Gunsten der versicherten Geschäftsführer im Falle bestrittener Wissentlichkeit der Pflichtverletzung "vorläufige Deckung" bis zur gerichtlichen Feststellung der Wissentlichkeit versprochen hat, seiner vorläufigen Inanspruchnahme nicht mit Erfolg entgegenhalten, der strafrechtlich verfolgte Versicherte habe Unterrichtungsobliegenheiten verletzt, weil er sich nicht vom Versicherer zu den Anklagevorwürfen "vernehmen" lasse, diesem keine Akteneinsicht in die Strafverfahrensakte ermögliche oder keinen Einblick in die Verteidigerhandakte gestatte und es dem Versicherer deshalb nicht möglich sei, den Versicherten vorzeitig der "wissentlichen Pflichtverletzung" zu überführen.

2. Bei einer solchen D & O-Versicherung kann der Versicherer seiner Inanspruchnahme im "vorläufigen" Strafrechtsschutz auch nicht § 109 VVG ("mehrere Geschädigte") entgegenhalten, wenn durch die Pflichtverletzung einzig der Fiskus geschädigter "Dritter" ist. Insbesondere sind etwaige Ansprüche der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin gegen ihre versicherten Geschäftsführer nach § 43 GmbHG nicht Ansprüche "Dritter" i.S.d. § 109 VVG.

 

Verfahrensgang

LG Paderborn (Aktenzeichen 3 O 311/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.01.2022 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (3 O 311/21) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann eine Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger seinerseits vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 170.000,00 EUR festgesetzt (15.330,18 EUR Klage zzgl. 142.735,86 EUR negative Feststellungswiderklage).

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte (vorläufige) Leistungen aus einer den Strafrechtsschutz umfassenden A.-Versicherung geltend.

Die K. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin), deren Geschäftsführer der Kläger war, unterhielt bei der beklagten Versicherung mit Wirkung ab dem 01.11.2010 einen A.-Versicherungsvertrag. Der Versicherung liegen die Manager Bedingungen 09/2008 (nachfolgend: AVB; Bl. 7 ff. eGA-I für die elektronische Gerichtsakte erster Instanz bzw. eGA-II für jene zweiter Instanz) sowie die im Versicherungsschein enthaltenen besonderen Bedingungen "Strafrechtsschutz" (nachfolgend: BB Strafrecht; Bl. 96 ff., 98 eGA-I) zu Grunde.

Im März 2014 leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Z. unter anderem gegen den Kläger ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts, Straftaten gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1, 150 AO als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB begangen zu haben, ein (siehe Einleitungsvermerk Bl. 20 f. eGA-I). Hiervon erfuhr der Kläger Ende Juni 2016 (wohl am 28.06.2016, siehe E-Mail des klägerischen Verteidigers vom 31.08.2016, Bl. 148 eGA-II) im Zuge der Vollziehung eines Durchsuchungsbeschlusses sowie der vorläufigen Festnahme eines Mitbeschuldigten, dem weiteren Geschäftsführer der Versicherungsnehmerin.

Die vom Kläger für seine Verteidigung mandatierte Kanzlei F. und Kollegen suchte mit Schreiben vom 24. August 2016 bei der Beklagten um Deckungsschutz nach (Bl. 22 eGA-I). Hierauf teilte die Beklagte unter dem 25.08.2016 mit (Bl. 23 eGA-I):

"Im Rahmen des mit unserem Haus abgeschlossenen A.-Vertrages ersetzt der Versicherer die notwendigen Abwehrkosten in u.a. Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen versicherte Personen, soweit die Einleitung des jeweiligen Verfahrens mit einer bei der versicherten Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung begründet wird. Kosten die nicht in Absprache mit dem Versicherer entstehen werden nicht erstattet.

Vorbehaltlich neuer Erkenntnisse die den Versicherungsschutz entfallen lassen würden und einer Prüfung Ihrer Honorarvereinbarung, erstatten wir die Kosten der Verteidigung im Steuerstrafverfahren gegen Herrn B.. Bitte teilen Sie uns noch mit, wie Sie Herrn B. gegenüber abrechnen.

Darüber hinaus halten Sie uns bitte stets informiert und sprechen weitere Schritte vorab mit uns ab."

Die Honorarvereinbarung übersandte die Kanzlei F. und Kollegen unter dem 31.08.2016 (Bl. 24 eGA-I). Noch am selben Tag teilte die Beklagte mit (Bl. 25 eGA-I):

"... in der vorbezeichneten Angelegenheit erklären wir uns mit den übersandten Honorarvereinbarungen vorbehaltlich der jeweiligen Einzelüberprüfungen einverstanden.

Auch die Honorarnote für das [Anm.: nicht den Kläger betreffende] Haftbeschwerdeverfahren werden wir zunächst überprüfen. Grundsätzlich sind die versicherten Personen versicherungsrechtlich verpflichtet uns zu informieren sobald eine Inanspruchnahme vorliegt. Dies ist hier nicht geschehen. Da nur Kosten erstattet werden die in Absprache mit dem Versicherer ...

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