Leitsatz (amtlich)

1) Die Bestimmung in einem notariellen Testament, die zur Vorerbin berufene überlebende Ehefrau sei zur freien Verfügung über den Nachlass berechtigt, wenn mehr als eines der bedachten Kinder nach dem Tode des Erblassers den Pflichtteil geltend machen, kann gem. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO auch im Grundbuchverfahren dahin ausgelegt werden, dass für den Fall des Bedingungseintritts die überlebende Ehefrau als Vollerbin eingesetzt ist.

2) Der Bedingungseintritt kann im Grundbuchverfahren durch die Vorlage eines notariellen Vertrages nachgewiesen werden, durch den alle Kinder ihre Nacherbenanwartschaft auf die überlebende Ehefrau gegen Zahlung einer Abfindung übertragen, die vereinbarungsgemäß ihren Pflichtteilsanspruch abdeckt.

 

Normenkette

GBO §§ 22, 35 Abs. 1 S. 2, § 51

 

Verfahrensgang

AG Kamen (Aktenzeichen KA-5898-10)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Grundbuchamt wird angewiesen, den Berichtigungsantrag der Beteiligten vom 23.11.2012 zu vollziehen.

 

Gründe

I. In dem eingangs genannten Grundbuch ist der Polizeimeister T (im Folgenden: Erblasser) als Eigentümer eingetragen. Die Beteiligte ist dessen zweite Ehefrau.

Durch notarielles Testament vom 6.11.1991 (UR-Nr. 330/1991 des Notars G in L) setzte der Erblasser die Beteiligte als seine Vorerbin und seine beiden Töchter aus erster Ehe S und N als Nacherben ein. Weiter bestimmte er in § 3 der notariellen Urkunde, dass die Beteiligte berechtigt sei, frei über den Nachlass zu verfügen, falls mehr als eines seiner Kinder nach seinem Tod den Pflichtteil geltend mache. Durch weiteres Testament vom 12.12.1997 (UR-Nr. 444/1997 Nota G) setzte der Erblasser unter Aufrechterhaltung der weiteren Bestimmungen der Urkunde vom 6.11.1991 seine ebenfalls aus erster Ehe stammende Tochter U als weitere Erbin ein.

Der Erblasser verstarb am 12.2.2006. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 26.7.2007 (UR-Nr. 262/2007 des Notars H in L) übertrugen die drei Töchter des Erblassers ihr Nacherbenanwartschaftsrecht auf die Beteiligte. Die Übertragung erfolgte gegen Zahlung einer Abfindung i.H.v. jeweils 17.000 EUR. Dieser Betrag überstieg nach den im Vertrag niedergelegten Vorstellungen aller Vertragsbeteiligten den Pflichtteilsbetrag, den sie mit 13.555,29 EUR berechnet hatten.

Mit unterschriftsbeglaubigter Erklärung vom 23.11.2012 (UR-Nr. 721/2012 des Notars X in L) beantragte die Beteiligte die Berichtigung des Grundbuchs dahin, dass sie als Eigentümerin eingetragen wird.

Diesen Antrag wies das Grundbuchamt mit Beschluss vom 8.2.2013 zurück. Zur Begründung machte es im Wesentlichen geltend, dass die Abtretung im Falle des Vorversterbens einer Nacherbin vor Eintritt des Nacherbfalls ins Leere gehe, weil nach der gesetzlichen Auslegungsregel der §§ 2100, 2096, 2069 BGB für diesen Fall etwa vorhandene Abkömmlinge der verstorbenen Nacherbin an deren Stelle treten. Die Beteiligte könne deshalb nicht ohne gleichzeitige Eintragung eines Nacherbenvemerks (§ 51 GBO) im Wege der Berichtigung als Eigentümerin eingetragen werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beteiligten.

II. Die namens der Beteiligten eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss vom 8.2.2013 ist nach §§ 71, 73 GBO zulässig.

In der Sache hat die Beschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil - entgegen der Auffassung des Grundbuchamts - hinreichend nachgewiesen ist, dass die Beteiligte Vollerbin geworden ist. Für ihre Eintragung als Eigentümerin im Berichtigungswege bedarf es deshalb weder der Zustimmung unbekannter Ersatznacherben noch der Vorlage eines Erbscheins ohne Nacherbenvermerk. Diese Beurteilung des Senats beruht im Einzelnen auf folgenden Erwägungen:

Ein Nacherbe erwirbt bereits vor dem Nacherbfall mit dem Tod des Erblassers eine unentziehbare und gesicherte Rechtsposition, die in ihrer Gesamtheit ein erbrechtliches Anwartschaftsrecht bildet (RGZ 101, 185; BGHZ 87, 367 = NJW 1983, 244). Nach allgemeiner Ansicht kann der Nacherbe über sein Anwartschaftsrecht verfügen (BGH, a.a.O.). Damit wird ihm die Möglichkeit gegeben, analog § 2033 BGB seine Rechtsposition bereits vor Eintritt des Nacherbfalls zu verwerten; aus der analogen Anwendung folgt, dass der Verfügungsvertrag der notariellen Beurkundung bedarf, § 2033 Abs. 1 S. 2 BGB (Brox, Erbrecht, 19. Aufl., Rz. 358).

Überträgt der Nacherbe seine Anwartschaft auf den Vorerben, so wird dieser dadurch zum unbeschränkten Vollerben (Konfusion/Konsolidation), es sei denn, es kann nur eingeschränkt, z.B. aufgrund der Anordnung einer Ersatznacherbschaft, auf den Vorerben übertragen werden (BGH ZEV 1995, 453; BFH NJW-RR 1996, 514; BayObLG FamRZ 1992, 728; BayObLGZ 1970, 137 = NJW 1970, 1794; so der Fall des OLG Hamm in NJW 1970, 1606; LG München MittBayNot 1980, 29; Grunsky in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 2100 Rz. 35; Staudinger/Avenarius [2013] § 2100 Rz. 85).

Im vorliegenden Fall kommt es deshalb maßgeblich darauf an, ob im Wege der Auslegung der letztwilligen Verfügung des Erblassers festgestellt werden ka...

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