Leitsatz (amtlich)

Die Zurechnung fiktiver Einkünfte neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit setzt auch im Falle einer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB eine Prüfung der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles voraus. Sie kommt nach Auffassung des Senats entgegen einer weit verbreiteten Praxis der FamG nicht in der Regel, sondern nur ausnahmsweise in Betracht. Ohne entsprechenden gegnerischen Vortrag besteht für den Unterhaltspflichtigen im Unterhaltsverfahren keine Veranlassung, sich hierzu zu erklären. Im Prozesskostenhilfeverfahren muss dem Unterhaltspflichtigen Gelegenheit gegeben werden, zu der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Nebenbeschäftigung Stellung zu nehmen. Soweit der Arbeitgeber eine für eine Nebenbeschäftigung erforderliche Genehmigung nicht erteilt, ist es dem Unterhaltspflichtigen in der Regel nicht zumutbar, hiergegen arbeitsgerichtlich vorzugehen.

 

Verfahrensgang

AG Gütersloh (Beschluss vom 19.04.2004; Aktenzeichen 16 F 529/03)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des AG - FamG - Gütersloh vom 19.4.2004 teilweise abgeändert.

Dem Beklagten wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er sich gegen die monatlich 80 Euro übersteigende Unterhaltsforderung der Klägerin wendet.

Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Von der Erhebung einer Gerichtsgebühr wegen der teilweisen Zurückweisung der Beschwerde wird abgesehen.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 127 Abs. 2 ZPO) ist teilweise begründet.

Nach dem derzeitigen Sachstand kann die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung des Beklagten nicht verneint werden, soweit er sich gegen die über 80 Euro monatlich hinausgehende Unterhaltsforderung der Klägerin für den gemeinsamen Sohn M. wendet. Dies beruht darauf, dass derzeit für den gesamten Unterhaltszeitraum nur das monatliche Nettoeinkommen von 1.000,45 Euro zugrunde gelegt werden kann, welches der Beklagte seit Januar 2004 erzielt. Die Hinzurechnung von fiktiven Einkünften aus einer Nebentätigkeit neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit kommt, wenn es um die Sicherstellung des Unterhalts für ein minderjähriges Kind in Höhe des Regelbetrages geht, im Rahmen der sich aus § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ergebenden gesteigerten Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich in Betracht. Die Voraussetzungen und Möglichkeiten hierfür können jedoch nur unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles bejaht werden.

Der insb. in der erstinstanzlichen Rechtsprechung zu beobachtenden Tendenz, die aufgrund gestiegener Unterhaltslasten (mehrfache Erhöhungen der Regelbeträge, sowie Unterbleiben des Kindergeldausgleichs gem. § 1612b Abs. 5 BGB) ggü. gleich gebliebenen Selbstbehaltssätzen) und nur geringfügig oder gar nicht gestiegener Einkommen für nicht qualifizierte Erwerbstätigkeiten) immer häufiger eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners durch den Verweis auf eine Nebentätigkeit zusätzlich zu der bereits ausgeübten vollschichtigen Erwerbstätigkeit, ist das BVerfG (BVerfG v. 5.3.2003 - 1 BvR 752/02, FamRZ 2003, 661) zu Recht entgegengetreten, indem es eine pauschale Zurechnung solcher Einkünfte ablehnt und eine Einzelfallprüfung verlangt. Danach kommt eine Obliegenheit zur Ausübung einer zusätzlichen Beschäftigung neben einer vollschichtigen Hauptbeschäftigung nur in Betracht kommen, wenn sie unter den Umständen des Einzelfalles zumutbar ist und den Unterhaltspflichtigen nicht unverhältnismäßig belastet; wobei neben der zeitlichen Vereinbarkeit einer solchen Nebenbeschäftigung mit der Hauptbeschäftigung auch arbeitsrechtliche (Erlaubnis des Arbeitgebers; das Zustimmungerfordernis des Arbeitgebers ist teilweise tarifvertraglich oder arbeitsvertraglich geregelt) und arbeitszeitrechtliche Aspekte (die Regelungen des ArbZG, nach denen eine werktägliche Arbeitszeit von mehr als 8 Stunden grundsätzlich nicht zulässig ist, stellen nach Auffassung des BVerfG eine absolute Höchstgrenze dar; vgl. hierzu auch KG v. 8.1.2003 - 3 UF 213/02, KGReport Berlin 2004, 57 = FamRZ 2003, 1208) sowie die gesundheitliche Verfassung des Unterhaltspflichtigen zu beachten sind.

Soweit der Arbeitgeber, der ein Interesse daran hat, dass sein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft uneingeschränkt seiner Vollzeitbeschäftigung widmet, eine erforderliche Zustimmung zu einer weiter gehenden Beschäftigung nicht erteilt, dürfte es dem Arbeitnehmer unzumutbar sein, gegen die Versagung der Zustimmung arbeitsgerichtlich vorzugehen (Christl, FamRZ 2003, 1235 [1239]; OLG Hamburg FamRZ 2003, 86). Ergeben sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien keine Bedenken gegen eine zusätzliche Erwerbstätigkeit, so kommt der Vereinbarkeit einer solchen Tätigkeit mit der Hauptbeschäftigung maßgebliche Bedeutung zu. Dabei sind neben den Zeiten der Vollzeitbeschäftigung auch die Zeiten für die Wege von und zur Arbeitsstelle zu beachten, so dass in den meisten Fällen einer Hauptbeschäftigung von 7 bis 8 St...

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