Leitsatz (amtlich)

1. Die Rechtsverfolgung auf Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1626a BGB kann mutwillig i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO sein, wenn der Antragsteller nicht vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens versucht, die Beurkundung einer gemeinsamen Sorgeerklärung nach § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 SGB VIII im Einvernehmen mit der Kindesmutter herbeizuführen.

2. Auch die Neufassung des § 1626a BGB erfordert für die Herstellung einer gemeinsamen elterlichen Sorge eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern, ein Mindestmaß an Übereinstimmung sowie eine hinreichende Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft der Kindeseltern.

 

Normenkette

BGB § 1626a; ZPO § 114 Abs. 2; SGB VIII § 59 Abs. 1 Nr. 8

 

Verfahrensgang

AG Marl (Beschluss vom 11.12.2015; Aktenzeichen 36 F 402/15)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Marl vom 11.12.2015 abgeändert.

Dem Kindesvater wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für seinen im Schriftsatz vom 16.11.2015 beabsichtigten Sorgerechtsantrag bewilligt.

 

Gründe

I. Der Kindesvater und die Kindesmutter sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des am 17.01.2010 geborenen G M N (im Folgenden: das Kind). Der Kindesvater hat die Vaterschaft anerkannt. Die Kindesmutter ist allein sorgeberechtigt. Die Kindeseltern leben getrennt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.10.2015 forderte der Kindesvater die Kindesmutter auf, eine Erklärung zur Miteinräumung des "hälftigen Sorgerechts" gegenüber dem Jugendamt bis zum 05.11.2015 abzugeben. Eine entsprechende Erklärung der Kindesmutter erfolgte nicht.

Der Kindesvater hat behauptet, dass die Kindesmutter Umgangskontakte zwischen ihm und dem Kind vereitele. Ungeachtet dessen sei ihm aufgrund der geänderten Rechtslage die elterliche Sorge zur gemeinsamen Ausübung mit der Kindesmutter zu übertragen. Die gemeinsame Sorge widerspreche nicht dem Kindeswohl, da eine gemeinsame Kommunikationsebene zwischen ihnen, den Kindeseltern, gefunden worden sei, er Unterhalt für das Kind leiste, am Leben des Kindes teilnehme und eine tragfähige soziale Beziehung zu dem Kind bestehe.

Der Kindesvater hat die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen beabsichtigen Antrag begehrt, ihm und der Kindesmutter die elterliche Sorge gemeinsam zu übertragen.

Das AG - Familiengericht - Marl hat mit Beschluss vom 11.12.2015 den Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig sei. Es seien zunächst kostenfreie Angebote des Jugendamtes zur Vermittlung zwischen den beteiligten Kindeseltern in Anspruch zu nehmen. Der Kindesvater habe sich nicht an das Jugendamt gewandt, um mittels einer qualifizierten Beratung zu einer Einigung mit der Kindesmutter zu kommen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kindesvater mit seiner sofortigen Beschwerde. Er rügt, er habe die Kindesmutter außergerichtlich aufgefordert, an der Sorgerechtsübertragung mitzuwirken. Ungeachtet dessen habe die Kindesmutter es abgelehnt, mit ihm zum Jugendamt zu gehen, und ihn in weiteren WhatsApp-Nachrichten diskreditiert.

Das AG - Familiengericht - Marl hat mit Beschluss vom 17.02.2016 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat mit Verweis auf die Begründung des Beschlusses vom 15.01.2016 im Verfahren 36 F 401/15 (= II-2 WF 35/16) zur Entscheidung vorgelegt. Im Beschluss vom 15.01.2016, 36 F 401/15, hat das AG ausgeführt, dass nicht davon auszugehen sei, dass Vermittlungsversuche des Jugendamtes von vornherein aussichtslos gewesen wären. Zwar habe die Kindesmutter dem Kindesvater vor der Antragstellung unter anderen die Nachricht zukommen lassen, dass ein Mitarbeiter des Jugendamtes der Stadt N allein für Finanzen zuständig sei; möglicherweise seien der Kindesmutter die Beratungsangebote des Jugendamtes für getrennt lebende Eltern im Bereich Sorge- und Umgangsrecht nicht bekannt gewesen. Die Mitteilung der Kindesmutter lasse daher nicht zwingend den Schluss zu, sie sei zu einem gemeinsamen Elterngespräch im Jugendamt nicht bereit gewesen. Zudem habe die Kindesmutter den Kindesvater Umgangskontakte angeboten und darauf verwiesen, dass das Kind ihn sehen wolle. Dann aber habe die Kommunikation der Kindeseltern mit der Nachricht des Kindesvaters geendet, dass er nicht mehr mit der Kindesmutter zu schreiben brauche und Anwälte dies schon machten.

II. Die nach den §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Kindesvaters ist begründet. Dem Kindesvater kann Verfahrenskostenhilfe nicht verweigert werden, weil seine Rechtsverfolgung nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Satz 1 ZPO mutwillig erschiene.

1. Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (vgl. Senat, Beschluss vom 10.10.2013 - II-2 WF 213/13, 2 WF 213/13 - MDR 2013, 1466). Sind Einigungsbemühungen unterlassen wo...

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