Entscheidungsstichwort (Thema)

Akteneinsichtsrecht. Akteneinsicht durch den Verletzten. Recht eines Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung. Gesundheits- und Patientendaten Dritter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten ist nach § 406e Absatz 1 Satz 1 und 4 Satz 1 und 4 StPO in Verbindung mit § 304 StPO anfechtbar.

2. Bei der Entscheidung über eine Beschwerde gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO besteht keine Beschränkung der Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts auf Ermessensfehler.

3. Von dem Akteneinsichtsrecht gemäß § 406e Abs. 1 StPO wird grundsätzlich der gesamte Akteninhalt erfasst. Eine Einschränkung ergibt sich nur bei Vorliegen überwiegend schutzwürdiger Interessen eines Angeklagten oder anderer Personen an der Geheimhaltung der relevanten Informationen. Prüfungsmaßstab ist dabei auch die Frage, ob das Recht eines Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung durch eine Akteneinsicht als unverhältnismäßige oder sachwidrige Maßnahme beeinträchtig wird. Im Rahmen der verfassungsmäßigen Abwegung bei der Anwendung des § 406e StPO ist die mildeste Maßnahme in Bezug auf den Eingriff in die Rechte des Angeklagten zu wählen, die gleichsam zur effektiven Wahrnehmung des mit der Akteneinsicht verfolgten Zwecks erforderlich ist.

4. Eine Preisgabe von Gesundheits- und Patientendaten Dritter kann der Gewährung von Akteneinsicht entgegenstehen.

 

Normenkette

StPO § 406e Abs. 1, §§ 304-305, 395

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 56 KLs 11/17)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss vom 05. Oktober 2017 - abgeändert durch Beschluss vom 17. November 2017 - wird betreffend die Nebenklägerin und Beschwerdeführerin X insoweit aufgehoben, als ihr die Einsichtnahme in das Sonderheft “Arrest und Sicherungsmaßnahmen„ versagt worden ist.

Der Nebenklägerin X ist durch ihren Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht in das Sonderheft “Arrest- und Sicherungsmaßnahmen„ zu gewähren, soweit es dem Senat zur Entscheidung vorgelegen hat.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin. Die Gebühr wird auf die Hälfte ermäßigt. Die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin sowie des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich vorliegend gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Gewährung von Akteneinsicht. Dem liegt Folgendes zugrunde:

Der Angeklagte wurde am 29. November 2016 zunächst auf der Grundlage des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom 24. November 2016 (Az. 71 Gs 1652/16) festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Z. Am 05. April 2017 hat das Amtsgericht Essen den ursprünglichen Haftbefehl erweitert (Az. 71 Gs 593/17) und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Mit Beschluss vom 13. Juni 2017 hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet und die Haftprüfung für die nächsten drei Monate dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen. Die Staatsanwaltschaft Essen hat am 11. Juli 2017 Anklage vor der XXI. großen Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Essen gegen den Angeklagten erhoben. Ihm wird vorgeworfen, in der Zeit vom 01. Januar 2012 bis zum 29. November 2016 in C, E und andernorts durch 61.980 selbständige Handlungen entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AMG gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe hergestellt, in den Verkehr gebracht oder sonst mit ihnen Handel getrieben zu haben, die zugleich durch Abweichungen von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert waren, wobei er gewerbsmäßig handelte und aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangte. In 27 der vorgenannten Fälle soll er tateinheitlich dazu versucht haben, eine andere Person an der Gesundheit zu schädigen. Durch 59 weitere selbständige Handlungen soll er in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch geschädigt haben, dass er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte, wobei er gewerbsmäßig handelte und einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 11. Juli 2017 Bezug genommen. Die Anklageschrift ist am 13. Juli 2017 beim Landgericht Essen eingegangen. Am 24. August 2017 wurde ein neuer Haftbefehl erlassen. Mit Beschluss vom 26. September 2017 hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus angeordnet und die Haftprüfung für die nächsten drei Monate dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen. Mit Beschluss vom 04. Oktober 2017 hat die XXI. Strafkammer des Landgerichts Essen die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 11. Juli 2017 zur Hauptverhandlung zugelassen, d...

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