Verfahrensgang

AG Gelsenkirchen (Beschluss vom 06.01.1998; Aktenzeichen 29 F 90/97)

 

Gründe

Gegen die Entscheidung vom 6. Januar 1998, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß §§ 124 Nr. 2, 120 Abs. 4 ZPO aufzuheben, ist die Durchgriffserinnerung (Beschwerde) gegeben (§§ 11 Abs. 2 Satz RPflG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Das Rechtsmittel der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg.

Zwar haben im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung die Voraussetzungen für eine Aufhebung der früher erfolgten PKH-Bewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO vorgelegen. Denn die Antragstellerin hatte trotz einer wiederholten Anfrage, sich über ihre aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erklären (§ 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO), und trotz des gerichtlichen Hinweises, auf § 124 Nr. 2 ZPO bis zum 6. Januar 1998 nicht reagiert.

Gleichwohl ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Denn sie ist nicht in Rechtskraft erwachsen, vielmehr mit der (einfachen) Erinnerung anfechtbar, der grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1, 3 RPflG abgeholfen werden kann. Ist dies nicht geschehen und die Erinnerung dem Rechtsmittelgericht - nun als Beschwerde - vorgelegt worden, gilt die Grundregel des § 570 ZPO. Danach sind neue Tatsachen und Beweise beachtlich; es besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, verspätetes Vorbringen als unbeachtlich zurückzuweisen (so auch OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 838; OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 756; OLG Stuttgart, FamRZ 1997, 1089). Demnach hätte das Amtsgericht die Angaben der Antragstellerin über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sachlich prüfen müssen.

Der Auffassung des Amtsgerichts, dass im Hinblick auf den "Sanktionscharakter" des § 124 Nr. 2 ZPO die bloße Nachholung der Erklärung bzw. Vorlage von Unterlagen nicht ausreiche (so auch OLG Koblenz, FamRZ 1996, 1425; 1997, 1544; OLG Brandenburg, FamRZ 1998, 837), vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 124 Nr. 2 ZPO dem Gericht "die erforderliche Sanktion für den Fall ... . dass die Erklärungspflicht nach § 120 IV S. 2 ZPO. verletzt wird" (BT-Drucks. 10/6400, S. 48) eröffnen wollen. Der Zweck dieser Vorschrift besteht aber nicht in erster Linie darin, die nicht fristgerechte Erfüllung einer Auflage nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO zu sanktionieren. Nach der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. dazu OLG Karlsruhe, aaO.) ermöglicht die Vorschrift des § 124 Nr. 2 ZPO lediglich die Korrektur eines zu Unrecht ergangenen und nicht mehr mit der Sachlage korrespondierenden Bewilligungsbeschlusses. Dies hält der Senat für zutreffend. Hätte nämlich der Gesetzgeber - in Abweichung vom Grundsatz des § 570 ZPO - verspätete Erklärungen gänzlich ausschließen wollen, so müssten die §§ 120 Abs. 4 Satz 2, 124 Nr. 2 ZPO darüber Aufschluss geben (so Zimmermann, JurBüro 1993, 646; OLG Karlsruhe, aaO.). Im Übrigen bleibt es ja bei der "Sanktion" einer Aufhebung der PKH-Bewilligung, wenn der Begünstigte auch im Beschwerdeverfahren sein bisheriges Versäumnis nicht behebt (so OLG Stuttgart, aaO., OLG Frankfurt, aaO.).

Gegen einen strikten Ausschluss verspätet vorgebrachter Tatsachen und Beweise - sozusagen als unanfechtbare Sanktion - spricht auch der Zweck der bewilligten PKH als besondere Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege. Im Unterschied zum Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO geht es bei einem Prüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO um den Fortbestand einer bereits bewilligten PKH, d.h. um einen sozialstaatlich geschützten Besitzstand (so auch OLG Frankfurt, aaO.; OLG München, FamRZ 1993, 580; OLG Karlsruhe, aaO.; OLG Stuttgart, aaO.). Dieser kann nicht allein wegen Versäumung einer Frist, die selbst nach Auffassung der OLGe Koblenz (aaO.) und Brandenburg (aaO.) keine Ausschlussfrist darstellt, beseitigt werden.

Das Amtsgericht wird daher in der Sache zu prüfen haben, ob die Antragstellerin bei ihren derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zur Rückzahlung der Prozesskosten an die Landeskasse in der Lage ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993992

FamRZ 2000, 1225

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