Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassungshaftung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Haftung des Betreibers einer Internethandelsplattform für rechtsverletzende oder wettbewerbswidrige Angebote Dritter auf dieser Plattform richtet sich nach den Grundsätzen der Unterlassungsdelikts, wenn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des Verhaltens darin liegt, dass der Betreiber trotz vorangegangener Hinweise auf gleichartige rechtsverletzende Angebote keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um Rechtsverletzungen künftig zu verhindern. Die Haftung des Betreibers hängt dann nach den hergebrachten Grundsätzen des Unterlassungsdelikts insbesondere davon ab, ob ihm als Garant wegen der Eröffnung einer Gefahrenquelle die Verhinderung weiterer rechtsverletzender Angebote möglich und zumutbar ist.

2. Werden auf einer Internethandelsplattform durch Private unter Verletzung von Marken oder unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht (hier: § 6 II Nr. 6 UWG) Waren gegen Entgelt angeboten, haftet der Betreiber der Internethandelsplattform als Täter durch Unterlassen, sofern er zuvor wiederholt auf gleichartige Rechtsverletzungen hingewiesen wurde und deshalb weitere derartige Rechtsverletzungen sicher vorhersehen konnte oder jedenfalls konkret für möglich hielt. Handelt dagegen der Anbieter in diesen Fällen im geschäftlichen Verkehr, haftet der Betreiber der Internethandelsplattform unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe durch Unterlassen. Auf die Grundsätze der Störerhaftung kommt es in diesen Fällen nicht an.

 

Normenkette

UWG § 6 Abs. 2 Nr. 6; MarkenG §§ 4, 14 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 24.09.2006; Aktenzeichen 315 O 980/05)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 22.07.2010; Aktenzeichen I ZR 139/08)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 15, vom 24.8.2006 (315 O 980/05), wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin, Herstellerin von Kinderstühlen, nimmt die Beklagte als Betreiberin einer Internet-Handelsplattform auf Unterlassung aus Markenrecht und Wettbewerbsrecht in Anspruch.

Die Klägerin ist ein in Norwegen ansässiges Unternehmen, welches in Deutschland über eine Tochtergesellschaft seit Jahren den aus der Anlage zum Klageantrag zu I a) abgebildeten Kinderhochstuhl "Tripp Trapp" vertreibt, dessen Design mehrfach ausgezeichnet wurde (Anlagen K 5, K 6), der in der Fachpresse als Klassiker beschrieben wird (Anlage K 7) und der bereits mehrfach als Testsieger der Stiftung Warentest prämiert wurde (Anlagen K 8; K 74).

Die Klägerin kann sich auf den Schutz von mehreren Marken berufen, nämlich auf die deutsche Wortmarke "TRIPP TRAPP" mit Priorität vom 17.12.1996, die deutsche Wortmarke "STOKKE TRIPP TRAPP" (Priorität 17.12.1996), die deutsche Wortmarke "STOKKE" (Priorität 28.5.1999) und die EU-Wortmarke "TRIP TRAP" (nachfolgend: Klagemarken). Die Marken sind für Möbel, die beiden erstgenannten Marken auch für Stühle eingetragen. Auf das Anlagenkonvolut K 9 wird Bezug genommen.

Die Beklagte ist in Bern (Schweiz) ansässig und unterhält eine Zweigniederlassung in Deutschland (Anlage K 12). Die Beklagte betreibt die Website www...de (Anlage K 10/K 11). Auf dieser Internetseite bietet die Beklagte Internetnutzern eine Plattform, auf der Privatleute und gewerblich Handelnde Waren und Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten können. Die erwerbsinteressierten Nutzer können diese Waren oder Dienstleistungen entweder in einem Gebotsverfahren erwerben, bei dem der im Rahmen einer vorgegebenen Zeitspanne Höchstbietende mit dem Veräußerer handelseinig werden kann. Der Veräußerer kann stattdessen oder daneben seine Ware oder Dienstleistung auch im Modus "sofort Kaufen" zu einem Festpreis anbieten.

Voraussetzung für das Anbieten und den Erwerb von Waren und Dienstleistungen auf der Internetplattform der Beklagten ist, dass die betreffende Person durch ein elektronisches Registrierungsverfahren als sog. "e-Mitglied" zur Teilnahme am Handel zugelassen wird. Bei dieser Registrierung muss der Interessierte Namen und Adresse sowie eine E-Mail-Adresse eingeben und u.a. die "Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Nutzung der deutschsprachigen e-Websites" (nachfolgend: AGB) der Beklagten akzeptieren. Dem Nutzer wird im Rahmen der Registrierung seiner Mitgliedschaft außerdem ein Nutzername zugewiesen, unter dem er dann auf dem Online-Marktplatz der Beklagten auftreten kann.

In den AGB der Beklagten (Anlage K 14) heißt es unter A. auszugsweise:

"§ 1 Marktplatz

Die e-Website ist ein Marktplatz, auf dem von den Mitgliedern Waren und Leistungen aller Art (nachfolgend "Artikel") angeboten, vertrieben und erworben werden können, sofern deren Angeb...

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