Leitsatz (amtlich)

1. Ohne konkrete tatsächliche Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin eines Verfügungsverfahrens oder deren juristische Vertreter bereits im Rahmen einer Due Diligence-Prüfung, die der Vorbereitung eines so genannten Asset-Deals mit einem Veräußerer diente, Kenntnis von vergangenen Werbemaßnahmen eines Wettbewerbers erlangt bzw. grob fahrlässig nicht erlangt hat, die Gegenstand zurückliegender Streitigkeiten des Veräußerers mit dem Wettbewerber waren und die mit den nunmehr angegriffenen Werbemaßnahmen kerngleich sind.

2. Einem Mandanten kann grundsätzlich nicht Wissen als dringlichkeitsschädlich zugerechnet werden, welches seine Prozessbevollmächtigten aufgrund einer früheren Tätigkeit für einen anderen Mandanten erlangt haben.

3. Ist eine Werbung als nicht gesetzeskonform anzusehen, besteht kein schutzwürdiger Besitzstand einer langjährigen Wettbewerbslage und kann auch ein so genannter Newcomer im Eilverfahren gegen vom Wettbewerber seit längerem verwendete Werbeaussagen vorgehen, ohne mit Erfolg dem Vorwurf der gezielten Behinderung ausgesetzt zu sein.

4. Gewährt der spätere Antragsteller eines Verfügungsverfahrens dem Antragsgegner auf dessen Bitte um Verlängerung der mit der Abmahnung gesetzten Frist zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung lediglich eine Fristverlängerung bis zu einer bestimmten Uhrzeit eines Tages (hier: 10:30 Uhr), dann ist es nicht dringlichkeitsschädlich, wenn der Verfügungsantrag nach der fristgerechten Zurückweisung der Abmahnung erst am darauffolgenden Tag (hier: zwischen 11:00 und 12:00 Uhr) bei Gericht eingereicht wird.

5. Die Ausnutzung der Berufungsfrist sowie der (ggf. verlängerten) Berufungsbegründungsfrist durch den Antragsteller im Eilverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht dringlichkeitsschädlich.

6. Unterfallen einzelne Viruserkrankungen (hier: Springseuche und Powassan-Enzephalitis) aus der Sicht auch nur eines Teils der Fachkreise dem Oberbegriff für eine Gruppe von Erkrankungen (hier: Zeckenenzephalitis), dann ist die Werbung damit, dass ein Arzneimittel gegen die Erkrankungen nach dem Oberbegriff schütze, auch dann irreführend, wenn das Mittel zwar gegen solche Erkrankungen, die dem Oberbegriff von einem anderen Teil des Fachverkehrs als synonym zugeordnet werden (hier: Frühsommer-Meningo-Enzephalitis/FSME), nicht aber gegen alle dem Oberbegriff unterfallende Erkrankungen schützt.

7. Zwar kann die Werbung für ein Arzneimittel mit der Abwesenheit eines bestimmten Stoffes auch dann zulässig sein, wenn die Verwendung des Stoffes (hier: Humanes Serum Albumin/HSA) ein lediglich theoretisches Risiko für den Patienten birgt (hier: potentielles Infektionsrisiko), weil Teile des angesprochenen Verkehrs ein solches Risiko vollständig ausschließen wollen. Hebt die Werbeaussage aber die Tatsache, dass das Arzneimittel jenen Stoff nicht enthält (hier: "HSA FREI"), besonders plakativ hervor, dann kann der Verkehr durch die Art der Darstellung den unzutreffenden und damit irreführenden Eindruck gewinnen, dass durch den Verzicht auf die Verwendung des Stoffes ein damit verbundenes reales Risikos und nicht lediglich ein nur theoretisch denkbares Risiko ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

UWG 2008 §§ 3, 4 Nr. 11, §§ 5, 8 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 2; UWG 2015 §§ 3, 3a, 5, 8 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 2; HeilMWerbG § 3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 06.10.2015; Aktenzeichen 312 O 276/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des LG Hamburg vom 6.10.2015 (Az.: 3 U 194/15) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Den Antragsgegnerinnen wird es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre, zu vollstrecken an den Geschäftsführern) verboten, im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel D.® mit den Angaben:

1. (...)

2. "D.® - einziger Schutz gegen Zeckenenzephalitis ohne Humanes Serum Albumin"

3. (...)

und/oder

4. "Größte Auswahl an zugelassenen Impfschemata1,2*"

und/oder

5. "Ausgezeichnete Immunogenität"

und/oder

6. "HSA FREI"

7. (...)

und/oder

8. mit folgender Grafik

- Grafik -

zu werben und/oder werben zu lassen

jeweils wie aus der ANLAGE ersichtlich.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie des erstinstanzlichen Verfahren verteilen sich wie folgt:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen die Antragstellerin 58 % und die Antragsgegnerinnen zu 1) und 2) 42 %. Die Antragsgegnerinnen zu 1) und 2) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 3).

Das Urteil ist vollstreckbar.

 

Tatbestand

I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Impfstoffen gegen die durch Zecken übertragene Frühsommer -...

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