Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Für Lesezirkel (LZ) kann der Zeitschriftenverlag wirtschaftlich sinnvolle Liefer- und Zahlungsbedingungen vereinbaren, vor allem um die Reichweite von Zeitschriftentiteln zu erhöhen. Eine solche LZ Vereinbarung ist nicht kartellrechtswidrig (§§ 1, 81 GWB). Eine Belieferung hat nicht etwa schon zu erfolgen, soweit der Nachfrager die LZ Bedingungen "formal" akzeptiert. Vielmehr setzt der Belieferungsanspruch die Vorlage eines schlüssigen Gesamtkonzepts des Lesezirkelvertriebs voraus, dessen Einhaltung zu belegen ist.

  • 2.

    Sieht ein Lesezirkelprojekt entgegen der LZ Vereinbarung keine Standard- und Wahlmappen, sondern nur eine Mappe mit bestimmten Zeitschriftentiteln vor, so besteht kein Belieferungsanspruch; die Nichtbelieferung ist nicht diskriminierend (§ 20 GWB).

  • 3.

    Es verstößt gegen die in der LZ Vereinbarung vorgesehene, kartellrechtlich sachgemäße Vertriebsneutralität, soweit ein Lesezirkelunternehmen (branchen-spezifische ausgerichtete) Dritt-Unternehmen als Werbepartner oder "Sponsoren" einsetzt, die die Lesemappen als Instrument der eigenen Kundenbindung verwenden und entsprechend kommunizieren werden.

  • 4.

    Eine LZ Bedingung, nach der die Lesemappen auch Privathaushalten (und nicht nur gewerblichen Kunden) anzubieten sind, ist nicht kartellrechtswidrig.

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 11.10.2006; Aktenzeichen KZR 45/05)

OLG Hamburg (Entscheidung vom 17.11.2005; Aktenzeichen 1 Kart U 2/05)

LG Hamburg (Entscheidung vom 04.11.2004; Aktenzeichen 315 O 559/04)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 4. November 2004 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Klägerin beabsichtigt den Betrieb eines oder mehrerer Lesezirkel, die von bestimmten Unternehmen als Werbemittel eingesetzt und demgemäß insbesondere durch Teilnehmerakquisition aus deren Abnehmerkreis gefördert werden sollen.

Die Beklagte gibt als Verlag u. a. die Zeitschriften STERN, GALA und BRIGITTE heraus, die sie über den Grosso, im Einzelhandel und Abo sowie über Lesezirkel vertreibt.

Die Klägerin nimmt mit der vorliegenden Klage die Beklagte auf Belieferung der oben genannten Zeitschriften zu deren Lesezirkel-Abgabebedingungen sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten in Anspruch.

Im Bereich des Lesezirkel-Zeitschriftenvertriebs werden attraktive Zeitschriftentitel, gegebenenfalls in Kombination mit anderen Titeln, an Lesezirkel-Unternehmen verkauft, die ihrerseits die Zeitschriften an die Kunden mit öffentlicher Auslage (z. B. an Frisörsalons oder Arztpraxen) vermieten, und zwar in sog. Lesemappen. In der sog. Erstmappe werden die Zeitschriften in der Woche des Erscheinens der Zeitschriften an Kunden vermietet, nach Ablauf der Woche gelangen die Zeitschriften in sog. Zweitmappen an andere Kunden zu einem günstigeren Entgelt, entsprechendes gilt für weitere Mappen (vgl. z. B. Anlage K 25). Es ist branchenüblich, dass die Verkaufspreise an Lesezirkel deutlich unter den Einzelhandel- und Abopreisen liegen. Die Lesezirkelunternehmen sind zum Zwecke der Reichweitenmaximierung bei den Zeitschriftentiteln verpflichtet, nicht nur Erst-, sondern auch Folgemappen anzubieten. Für die Verlage ist die tatsächliche Vermietung der Zeitschriftenexemplare wesentlich, sie dürfen nicht in den Einzelverkauf gelangen und müssen nach dem letzten Durchgang der Folgemappen vernichtet werden (vgl. zu den erstinstanzlich gültigen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen der Beklagten insoweit: Anlage K JS 3).

Dem Zeitschriftenvertrieb der Beklagten über Lesezirkel lagen zunächst deren "Liefer- und Zahlungsbedingungen für Lesezirkel (LZ)-Unternehmen" von Mai 1976 (Anlage K JS 3) zugrunde; nunmehr - nach dem wieder eröffneten Berufungsverfahren - sind es die (geänderten) "Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für den Lesezirkel" von Dezember 2006 (Anlage B 24).

In der Einleitung dieser LZ-Belieferungsbedingungen der Beklagten (Anlage B 24) heißt es u. a.:

"... der "Verlag" (das ist die Beklagte) beliefert Lesezirkel-Unternehmen mit Zeitschriftenexemplaren des Verlages ... für den Lesezirkel, die Belieferung erfolgt im Rahmen des Gesamvertriebskonzeptes zu Abgabepreisen unter Herstellungskosten, um die Reichweite einzelner Titel zu erhöhen. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang einer seiner Titel zum Lesezirkelvertrieb bereitgestellt werden, liegt deshalb im freiem Ermessen des Verlages. Voraussetzungen für die Belieferung eines Unternehmens zum Lesezirkelvertrieb sind:

- breites, für den Leszirkelvertrieb typisches Zeitschriftenangebot,

- Angebot und Zeitschriftenvermietung des Leszirkels an Privathaushalte un...

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