Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung des kennzeichnenden von dem rein produktbeschreibenden Gebrauch mehrdeutiger Bezeichnungen (hier: "Kinderzeit")

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Abgrenzung des kennzeichnenden von dem rein produktbeschreibenden Gebrauch (möglicherweise) mehrdeutiger Bezeichnungen ist entscheidend, wie der Verbraucher angesichts der Selbstdarstellung des Herstellers in seiner Warenpräsentation das Produkt bezeichnen wird. Wird der Begriff (hier: "Kinderzeit") dem Verbraucher neben der Herstellerbezeichnung und der Produktlinie zur Benennung der konkreten Produktausführung angeboten, liegt kennzeichnender Gebrauch vor.

2. Ein freihaltebedürftiger Begriff erlangt auch bei einem durch Verkehrsbefragung nachgewiesenen hohen Kennzeichnungsgrad Markenschutz auf Grund von Verkehrsdurchsetzung zunächst nur im Umfang normaler Kennzeichnungskraft. Gesteigerte Kennzeichnungskraft kann einem ansonsten freihaltebedürftigen Begriff nur dann zukommen, wenn nicht nur der Kennzeichnungsgrad (Bekanntheit des Begriffs als Produktbezeichnung eines Herstellers), sondern auch der Zuordnungsgrad (Zuordnung des Begriffs zu einem konkreten, namentlich bekannten Hersteller) erheblich gesteigert ist. Ein Zuordnungsgrad von nicht mehr als 49 % ist nicht ausreichend, um die normale Kennzeichnungskraft des verkehrsdurchgesetzten Begriffs "Kinder" für Schokoladenwaren zu steigern.

3. Es ist zur Vermeidung einer Monopolisierung umgangssprachlicher Worte markenrechtlich unerwünscht, wenn Zeicheninhaber, die Kennzeichenrechte im Wege der Verkehrsdurchsetzung an freihaltebedürftigen Begriffen erlangt haben, Mitbewerbern die Verwendung dieses Begriffs nicht nur im unmittelbaren Ähnlichkeitsbereich, sondern darüber hinaus auch in einer Vielzahl weiterer - zusammengesetzter - Verwendungsformen untersagen können.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 15.08.2003; Aktenzeichen 416 O 85/03)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 20.09.2007; Aktenzeichen I ZR 94/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 15.8.2003 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.d. jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist eines der umsatzstärksten Unternehmen der Süßwaren- und Schokoladenbranche in Deutschland. Die Beklagte ist eine Molkerei, die mit ihren Produkten im Lebensmittelbereich ebenfalls zu den bekanntesten deutschen Markenartikelherstellern zählt.

Die Klägerin ist im Jahr 1967 erstmals mit ihrem Produkt "Kinder Schokolade" im Markt aufgetreten. In der Folgezeit hat sie eine Vielzahl weiterer Produkte aus dem Süßwarenbereich auf den Markt gebracht, die einheitlich den Begriff Kinder am Anfang der Produktbezeichnung führen ("Kinder Überraschung", "Kinder Country" usw., Anlage BB8). Diese Erzeugnisse sind weitgehend in ihrer Produktbezeichnung bzw. -ausstattung markenrechtlich geschützt (Anlagenkonvolut K12). Daneben ist auch der Begriff Kinder in verschiedenen Ausgestaltungen für die Klägerin als Marke eingetragen. Die Klägerin ist mit Priorität vom 16.12.1996 Inhaberin der Wort-/Bildmarke Nr. 396 54 542 Kinder für "Schokolade, Schokoladenwaren, Fein- und Dauerbackwaren, Zuckerwaren" (Anlage K6) Diese Marke zeigt den typischen Schriftzug in Kleinbuchstaben mit vergrößertem "k" in schwarz-roter Gestaltung. Weiterhin sind zu Gunsten der Klägerin für entsprechende Warengattungen mit Priorität vom 2.3.2001 die Wort-/Bildmarke Nr. 301 14 181 Kinder (Anlage K7) sowie die Wort-/Bildmarke Nr. 397 21 063 Kinder (Anlage K19 und BB38) geschützt.

Die Beklagte beabsichtigte Ende des Jahres 2002, ein Dessertprodukt ihrer Produktlinie "Monte" unter Verwendung der Bezeichnung Kinderzeit in der aus den zum Gegenstand der Klageanträge gemachten Ausstattung auf den Markt zu bringen und entsprechend zu bewerben. Mit Schreiben vom 10.12.2002 (Anlage BK1) setzte die Beklagte die Klägerin hiervon vorab in Kenntnis und gab u.a. ihrer Überzeugung Ausdruck, die von ihr beabsichtigte Verwendung des Begriffs Kinderzeit werde die markenrechtlich geschützten Positionen der Klägerin nicht beeinträchtigen. Anderenfalls bat sie die Klägerin um eine Reaktion bis zum 24.12.2002. Die Klägerin, die die Auffassung nicht teilte, erwirkte daraufhin unter dem Aktenzeichen 416 O 38/03 bei dem LG Hamburg am 13.3.2003 eine einstweilige Verfügung mit dem Inhalt der auch im vorliegenden Rechtsstreit verfolgten Klageanträge. Hiervon setzte sie die Beklagte in Kenntnis. Der vorprozessuale Schriftwechsel der Parteien (Anlagen K2 bis K4) führte zu keiner Einigung.

Die Klägerin ist der Auffassung, die von der Beklagten nicht lediglich produktbeschreibend, sondern kennzeichnend zur Verwendung ...

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