Leitsatz (amtlich)

1. „Privatperson” i.S.d. § 475 StPO ist auch ein Zeuge, soweit er nicht wegen einer gleichzeitigen anderen Verfahrensstellung speziellen Regelungen des Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsrechts (als Nebenkläger §§ 397 Abs. 1 S. 2, 385 Abs. 3 StPO, als Verletzter § 406e StPO) unterfällt.

2. Der gem. § 68b StPO bestellte Zeugenbeistand hat keine weitergehenden Befugnisse als ein anderer Rechtsanwalt, über den gem. § 475 Abs. 1, Abs 2 StPO ein Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsrecht des Zeugen wahrzunehmen ist. Folglich ist die eine Auskunftrserteilung bzw. Akteneinsicht an den Zeugenbeistand betreffende Entscheidung des Vorsitzenden unanfechtbar (§ 478 Abs. 3 S. 2 StPO).

 

Normenkette

StPO §§ 68b, 475, 478 Abs. 3 S. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Zeugin L – ehemals – V gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 7 des LG Hamburg vom 7.12.2001 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin verworfen.

 

Gründe

I. Die Beschwerdeführerin ist – durch die angeklagte Tat aus dem sogenannten Rotlichtmilieu nicht verletzte – Zeugin in einem vor der Kleinen Strafkammer 7 des LG Hamburg anhängigen Berufungsverfahren. In der Hauptverhandlung hat sie ihren früheren Zunamen V angegeben, sich jedoch unter Hinweis auf eine Gefährdung geweigert, ihren jetzigen, infolge Namensänderung vom Juni 2001 abweichenden Zunamen zu benennen. Mit Kammerbeschluss vom 30.11.2001 hat das LG der Beschwerdeführerin gem. § 70 Abs. 1 StPO die durch ihre Weigerung entstandenen Kosten auferlegt und ein Ordnungsgeld i.H.v. 150 DM, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft, verhängt. Dagegen hat die Zeugin über die ihr durch Beschlüsse vom 23. und 27.11.2001 gem. § 68b StPO wegen der rechtlich und tatsächlich schwierigen Frage des § 68 Abs. 3 StPO als Zeugenbeistand beigeordnete Rechtsanwältin H. Beschwerde eingelegt und durch Anwaltsschriftsatz vom 3.12.2001 beantragt, „Akteneinsicht in die Verfahrensaktenteile, welche die Vorgaben in der Begründung des Beschlusses in tatsächlicher Hinsicht umfassen, zu gewähren”. Diesen Antrag hat die Kammervorsitzende durch Beschluss vom 7.12.2001 abgelehnt mit der Begründung, der Zeugenbeistand habe – wie der Zeuge selbst – kein Recht auf Akteneinsicht. Hiergegen richtet sich die verfahrensgegenständliche Beschwerde vom 10.12.2001, mit der zumindest die Aushändigung von Ablichtungen der für eine sachgerechte Wahrnehmung der Zeugeninteressen bedeutsamen Aktenteile begehrt wird.

II. Die Beschwerde ist gem. § 478 Abs. 3 S. 2 StPO unstatthaft.

Gemäß § 304 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO ist die grundsätzlich eingeräumte Beschwerdebefugnis von Zeugen gegen Beschlüsse und Verfügungen, von denen sie betroffen werden, ausgeschlossen, soweit das Gesetz sie ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Eine solche ausdrückliche Regelung enthält der durch Art. 15 des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 vom 2.8.2000 (BGBl I 2000, 1253, 1257) eingeführte § 478 Abs. 3 S. 2 StPO, wonach die Entscheidung des Vorsitzenden über den Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsantrag einer Privatperson nach § 475 StPO unanfechtbar ist. Die Beschwerdeführerin ist als durch die angeklagte Tat nicht verletzte und nicht nebenklagebefugte Zeugin Privatperson i.S.d. § 475 StPO (dazu nachstehend Ziff. 1.). Der Umstand, dass der Zeugin gem. § 68b StPO ein Zeugenbeistand bestellt worden ist, schafft keine weitergehenden Auskunfts- und Rechtsmittelbefugnisse (dazu nachstehend Ziff. 2.).

1. Nach dem durch Art. 15 des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1999 vom 2.8.2000 (BGBl. I 2000, 1253 [1256]) mit Wirkung ab 1.11.2000 in die Strafprozessordnung eingefügten § 475 StPO kann für eine Privatperson und für sonstige Stellen ein Rechtsanwalt Auskünfte aus den Akten erhalten (§ 475 Abs. 1 StPO), soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt; unter näher bezeichneten Voraussetzungen kann einem solchen Rechtsanwalt Akteneinsicht gewährt werden (§ 475 Abs. 2 StPO). Der Privatperson können unter den Voraussetzungen des Abs. 1 Auskünfte aus den Akten auch ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts erteilt werden (§ 475 Abs. 4 StPO). Privatperson i.S.d. § 475 StPO ist, wer nicht Beschuldigter, Privatkläger, Nebenkläger, Verletzter oder Einziehungsbeteiligter pp. ist (vgl. Temming in Heidelberger Kommentar/StPO, 3. Aufl., § 475 Rz. 1; Pfeiffer, StPO, 3. Aufl., § 475 Rz. 1; siehe auch Hilger, NStZ 2001, 15 [16] mit Fn. 74). Damit unterfällt auch derjenige Zeuge, der keine der genannten Verfahrensstellungen inne hat, dieser Vorschrift.

a) Das Verständnis eines Zeugen als „Privatperson” ist vom Wortsinn gedeckt. Das gilt sowohl für das allgemeine Sprachverständnis als auch für den Sprachgebrauch des Gesetzes, das in den §§ 474, 475 StPO zwischen Justizbehörden und sonstigen Stellen einerseits und Privatpersonen andererseits unterscheidet.

b) Der systematische Vergleich der gesetzlichen Akteneinsichts- und Auskunftsrechte zeigt ein Konzept auf, das sowohl bestimmten im engeren Sinne Verfahrensbeteiligten als auch Verfahrensfremden abgestufte Akteneinsichts- und Auskunftsrechte einräumt...

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