Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu Umfang und Grenzen der identifizierenden Berichterstattung (Verdachtsberichterstattung)

 

Leitsatz (amtlich)

Von der Mitteilung der Vorinstanz wird aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes abgesehen. Ein Rechtsmittel ist nicht bekannt geworden.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; GG Art. 2; KUG §§ 22-23

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.12.2019; Aktenzeichen VI ZR 249/18)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts ... vom ..., Az. ..., wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist hinsichtlich des Unterlassungstenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,- EUR und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufung wird auf 30.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um presserechtliche Unterlassungsansprüche bezogen auf eine Bildverdachtsberichterstattung sowie um die Erstattung der Kosten eines Abschlussschreibens. Streitgegenstand ist ein von dem Beklagten zu 2 verfasster und von der Beklagten zu 1 unter dem XX.XX.2016 auf www.(...).de veröffentlichter Artikel, in dem über den Kläger im Zusammenhang mit einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen und dem Vorwurf, die minderjährige Schülerin mit SM- und Nacktfotos erpresst zu haben, identifizierend berichtet wird.

Soweit der Kläger zudem von dem Beklagten zu 2 die Unterlassung einzelner Äußerungen sowie seiner Identifizierbarmachung im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Zuhälterei begehrt hat, haben die Parteien nach Abgabe einer Unterlassungserklärung durch den Beklagten zu 2 den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 301 bis 307 d.A.) Bezug genommen. Er wird dahingehend ergänzt, dass gegen den Kläger unter dem XX.XX.2017 wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ein mittlerweile rechtskräftiger Strafbefehl über 90 Tagessätze ergangen ist.

Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die angegriffene Berichterstattung sei nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung unzulässig.

Die Beklagte zu 1 habe auch die Kosten des Klägers für das Abschlussschreiben zu tragen. Der Kläger habe die vor einem Abschlussschreiben zu wahrende Frist eingehalten.

Soweit die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, habe der Beklagte zu 2 nach § 91a ZPO die Kosten zu tragen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 307 bis 316 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihnen am 27. Juni 2017 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am 13. Juli 2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 28. September 2017 mit einem am 4. September 2017 eingegangenen Schriftsatz begründet haben.

Mit ihrer Berufung, mit der sie in Kopie Bl. 1 bis 91 der Ermittlungsakte vorlegen und nochmals Beiziehung der Ermittlungsakte beantragen, machen die Beklagten fehlerhafte Tatsachenfeststellungen sowie eine Verletzung materiellen Rechts geltend.

(Von der Darstellung der weiteren Textpassagen wird abgesehen - die Red.)

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts ... vom ... (Az. ...) die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Unterlassung der beanstandeten identifizierenden Berichterstattung aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, §§ 22, 23 KUG zuerkannt.

a) Das Landgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der angegriffene Wortbeitrag einen Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG darstellt. Denn die Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 16.2.2016, VI ZR 367/16 - Online-Archiv einer Tageszeitung, Rn. 15 ; BGH, Urteil vom 7.12.1999, VI ZR 51/99 - Sticheleien von Horaz, Rn. 17; alle Entscheidungen - auch nachfolgend - zitiert nach juris). Nicht betroffen ist dabei allerdings die absolute Intimsphäre des Klägers; denn die Begehung einer Sexualstraftat fällt nicht in den unantastbaren Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltu...

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