Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit aufgrund chronischer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

 

Leitsatz (amtlich)

In der Berufsunfähigkeitsversicherung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch auf der Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10:F45.41) beruhen. Anders als bei der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10:F43.4) ist dafür der Nachweis eines psychischen Konflikts oder einer psychosozialen Belastungssituation nicht erforderlich.

 

Normenkette

VVG § 172 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 06.07.2012; Aktenzeichen 1 O 9/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 6.7.2012 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger bedingungsgemäß eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 1.431,62 Euro beginnend ab dem 1.3.2010 bis längstens zum 1.6.2026 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 20 % und die Beklagte 80 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt bedingungsgemäße Rentenzahlung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung von der Beklagten.

Der Kläger schloss bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 1.6.2001 eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Die garantierte Rente für den Fall der Berufsunfähigkeit beträgt monatlich 1.431,62 Euro. Es gelten die Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung mit einem generellen Verzicht auf die abstrakte Verweisbarkeit; auf den Versicherungsschein nebst Bedingungen (Anlagenband B1/2) wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages als "Teamleiter im Ramp Service" (Flugzeugabfertiger) bei der X GmbH, einer hundertprozentigen Tochter der X1 GmbH, tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es, Flugzeuge zu be- und entladen, d.h. das Gepäck der Reisenden zu befördern. Wegen der Tätigkeit im Einzelnen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Ab 19.2.2002 wurde er in den Servicepool abgeordnet, wo er im Bereich Zollschleusenkontrolle etc. eingesetzt war. Anschließend war er befristet vom 14.3. bis 31.10.2005 im Parkflächen-Management tätig. Die Befristung war erfolgt, weil dieser Bereich ausgelagert werden sollte. Ab November 2005 wurde der Kläger von seiner vertraglichen Arbeitspflicht freigestellt.

Ausweislich des Schreibens der X1 GmbH vom 19.12.2002 war die Abordnung in den Service-Pool in Hinblick auf vorübergehende körperliche Einschränkungen des Klägers mit dem Ziel erfolgt, ihn nach Wiederherstellung seiner Gesundheit erneut am alten Arbeitsplatz einzusetzen.

Mit Schreiben vom 11.10.2006 kündigte die X1 GmbH das Arbeitsverhältnis - erneut - personenbedingt mit der Begründung, dass es für ihn keine Einsatzmöglichkeit mehr gebe, die seinem Gesundheitszustand gerecht werde. Nachdem die vorangegangene Kündigung im Rahmen eines Vergleichs zurückgenommen worden war, einigte sich der Kläger nunmehr mit seiner Arbeitgeberin auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2008.

Ausweislich des Berichts von A vom Mai 2005 waren bei dem Kläger nach einem Infekt im Mai 2001 zunehmend Gelenkbeschwerden und -schwellungen aufgetreten. In der Folgezeit wurde die Diagnose einer undifferenzierten Oligoarthritis nebst chronifiziertem Schmerzsyndrom gestellt; auf den Arztbericht von A vom 4.5.2004 (Bl. 33 d.A.) wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 25.4.2006, ihm Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu gewähren, was diese ablehnte.

Mit seiner Klage hat er bedingungsgemäße Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zunächst ab dem 1.1.2006 geltend gemacht, die Klage sodann mit Schriftsatz vom 4.1.2007 teilweise zurückgenommen und Leistungen erst ab dem 1.8.2006 begehrt.

Das Landgericht hat umfangreich Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, dass er aufgrund einer Polyarthritis schon mehr als sechs Monate nicht in der Lage sei, seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Flugzeugabfertiger auszuüben, und dazu auch in der Zukunft nicht in der Lage sein werde, durch Einholung von Sachverständigengutachten; auf die Zusammenstellung der Gutachten im landgerichtlichen Tatbestand wird verwiesen. Des Weiteren wird Bezug genommen auf das vom Kläger vorgelegte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie B vom 22.10.2010 (Bl. 327 ff d.A.), welches sie im Auftrag des S...

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