Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumnisurteil: Einspruchsfrist bei öffentlicher Zustellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ohne Bestimmung der Einspruchsfrist wird die Einspruchsfrist bei öffentlicher Zustellung nicht in Lauf gesetzt.

2. Dafür, dass die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt wurde, trägt nicht der Einspruchsführer die Beweislast.

3. Ein Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO führt nicht zur Unwirksamkeit der Prozessvollmacht.

 

Normenkette

ZPO §§ 338-339, 341, 80; BRAGO § 45

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 03.11.2015; Aktenzeichen 2-22 O 166/88)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 22. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main vom 3.11.2015 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch des Beklagten gegen das am 9.6.1989 erlassene und am 13.7.1989 verkündete Versäumnisurteil und über die Kosten des Berufungsverfahrens an das LG zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Das LG hat am 9.6.1989 gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil erlassen, das in der Folge öffentlich zugestellt wurde. Der Verurteilung liegt der klägerische Vortrag zugrunde, dass der Kläger dem Beklagten ein Darlehen über 40.000 DM, verzinslich mit 10 % p.a., gewährt habe, wie es in der notariellen Urkunde Nr ... der Urkundenrolle des Notars B durch dessen amtlich bestellten Vertreter A beurkundet ist.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 27.4.2015 durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt B Einspruch eingelegt.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand wegen der in erster Instanz zuletzt gestellten Anträge und wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das LG den Einspruch als unzulässig verworfen, weil die Rechtsanwalt B erteilte Prozessvollmacht unwirksam gewesen sei. Denn er habe mit der Vertretung des Beklagten gegen das gesetzliche Tätigkeitsverbot gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BRAO verstoßen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der der Ansicht ist, dass das Tätigkeitsverbot nicht zur Unwirksamkeit der Prozessvollmacht führe, zumal seinem früheren Prozessbevollmächtigten die viele Jahre zurückliegende Beurkundungstätigkeit seines amtlichen Vertreters nicht bekannt gewesen sei. Dass die Einspruchsfrist durch die öffentliche Zustellung nicht in Lauf gesetzt worden sei, beruhe darauf, dass das LG weder im Versäumnisurteil noch durch besonderen Beschluss die Einspruchsfrist bestimmt habe. Hinsichtlich der Einwände gegen die titulierte Forderung selbst wiederholt und vertieft der Beklagte sein erstinstanzliches Vorbringen.

Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 3.11.2015 verkündeten Urteils des LG Frankfurt am Main, Az: 2/22 O 166/88 (Az. berichtigt - die Red.), das Versäumnisurteil des LG Frankfurt am Main, versehen mit dem handschriftlichen Verkündungsdatum vom 13.07.1989, Az:..., aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit an das LG Frankfurt am Main zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Ansicht, dass nicht angenommen werden könne, dass das LG es unterlassen habe, die Einspruchsfrist zu bestimmen, denn dies könne durch besonderen Beschluss geschehen sein. Dass dieser in den Restakten nicht mehr nachweisbar sei, beruhe darauf, dass nach der Aufbewahrungsverordnung solche Beschlüsse nicht wie Urteile von der Vernichtung auszunehmen seien. Es führe zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, wenn mangels Nachweisbarkeit der Bestimmung der Einspruchsfrist ein Versäumnisurteil noch nach Jahr und Tag mit dem Einspruch angefochten werden könne.

II. Die Berufung ist begründet.

Entgegen der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Ansicht ist der Einspruch zulässig.

Bei der Einlegung des Einspruchs durch Rechtsanwalt B war die Einspruchsfrist nicht abgelaufen, da sie schon ursprünglich nicht wirksam in Gang gesetzt wurde. Gemäß § 339 Abs. 2 ZPO muss, wenn die Zustellung eines Versäumnisurteils im Ausland oder wie hier durch öffentliche Zustellung erfolgen muss, in dem Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss die Einspruchsfrist bestimmt werden. Unterbleibt dies, kommt die Einspruchsfrist nicht in Lauf (BGH NJW 2011, 2218 f. [BGH 11.05.2011 - VIII ZR 114/10]). Es ist zumindest nach Beweislastgrundsätzen davon auszugehen, dass die Einspruchsfrist nicht bestimmt wurde. Im Versäumnisurteil selbst ist das jedenfalls nicht geschehen. Aus den jetzt noch vorhandenen Restakten ergibt sich gleichfalls nicht, dass ein solcher Beschluss erlassen und dem Beklagten zugestellt wurde. Dass auch der Kläger nicht in der Lage ist, hierüber Klarheit zu schaffen, spricht allerdings mehr dafür, dass ein solcher Beschluss nicht ergangen ist; denn er müsste seinerzeit dem Kläger formlos übermittelt worden sein und könnte sich daher, wenn er ergangen wäre, noch beim Kläger bzw....

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