Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Auslegung von Art. 2 Abs. 2 lit. g) VO (EU) 609/2013 (Definition: Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke); zum Eilbedürfnis, wenn aus einem bereits erwirkten Titel nicht vollstreckt wird

 

Leitsatz (amtlich)

1. Art. 2 Abs. 2 lit. g) der VO (EU) 609/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke dazu dienen muss, ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit auszugleichen (vgl. schon OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.5.2019, 6 U 38/18).

2. Stellt der Antragsteller nach Erlass und Vollziehung einer einstweiligen Verfügung in Kenntnis der Fortsetzung des untersagten Verhaltens keinen Vollstreckungsantrag, ist die Dringlichkeitsvermutung wiederlegt, jedoch nur für das betreffende Verfahren (Fortführung von OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.3.2010 - 6 U 219/09 - Whiskey-Cola, Abgrenzung zu KG, Urteil vom 9.11.2018 - 5 U 58/18).

 

Normenkette

UWG § 12 Abs. 2; VO (EU) 609/2013 Art. 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.12.2019; Aktenzeichen 2-6 O 382/19)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 18.12.2019 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Werbung der Antragsgegnerin für das von ihr vertriebene Produkt "Natural D-Mannose", das die Antragsgegnerin als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (künftig: LbmZ) zum Diätmanagement bei der Verringerung des Auftretens wiederkehrender Blasenentzündungen in den Verkehr bringt. Bei D-Mannose handelt es sich es sich um einen Einfach-Zucker, der für das von der Antragsgegnerin vertriebene Produkt aus Birkenrinde gewonnen wird.

Bereits 2017 erwirkte der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin einen Titel, die dagegen gerichtet war, das Mittel Natural D-Mannose für die Behandlung von Blasenentzündungen zu bewerben. Das Verfahren endete vor dem Senat mit einem Vergleich, nachdem einer der Unterlassungsanträge zurückgenommen worden war. Mit dem Vergleich billigte der Antragsteller der Antragsgegnerin eine Aufbrauchsfrist von sechs Monaten zu.

Von der weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

A) Der Eilantrag ist zulässig.

1. Der Zulässigkeit des Eilantrages steht das Prozesshindernis der Rechtskraft nicht entgegen. Zwar hat sich der Antragsteller bereits im Jahr 2015 im Wege eines Eilverfahrens und im Jahr 2017 im Wege eines Hauptsacheverfahrens (6 U 60/17) gegen den Vertrieb und die Bewerbung des Mittels "D-Mannose" gewandt. Gegenstand dieses Verfahrens war jedoch nicht dasselbe Produkt, die Produktaufmachung war eine andere und die angegriffenen Werbeaussagen waren andere. Sowohl die Anträge als auch der jeweilige Lebenssachverhalt sind verschieden mit der Folge, dass nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 7.4.2011, I ZR 34/09 - Leistungspakete im Preisvergleich - Rn. 14, juris).

2. Dem Antragsteller fehlt es für den Eilantrag auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dabei kann unterstellt werden, dass er wegen der hier streitgegenständlichen Verletzungshandlung mit Aussicht auf Erfolg ein Ordnungsmittelverfahren aufgrund des Titels führen könnte, den er 2017 erstritten hat. Im Hinblick auf die Unterschiede der in den beiden Fällen beanstandeten Werbungen kann die Klägerin aber nicht auf den Weg des Ordnungsmittelverfahrens verwiesen werden, wenn der Ausgang im Zwangsvollstreckungsverfahren ungewiss ist und eine Verjährung der aufgrund des erneuten Verstoßes geltend zu machenden wettbewerbsrechtlichen Ansprüche droht (BGH, Urteil vom 7.4.2011 - I ZR 34/09 - Leistungspakete im Preisvergleich, Rn. 20, juris). Hier wäre der Ausgang eines Zwangsvollstreckungsverfahrens aus der insoweit maßgebenden Sicht des Antragstellers schon deshalb ungewiss gewesen, weil die Antragsgegnerin die beanstandete Werbung als rechtmäßig verteidigt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann dem Antragsteller in einem solchen Fall das Rechtsschutzbedürfnis für die Einleitung eines weiteren Eilverfahrens nicht abgesprochen werden (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.11.2017 - 6 U 121/17 - Rn. 2, juris m.w.N.; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 14.3.2013 - 6 U 227/12, Rn. 6, juris; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.1996 - 6 W 145/96 - Rn. 3, juris). Es steht dem Antragsteller in einem solchen Fall frei, anstelle des Vollstreckungsverfahrens nach § 890 ZPO oder auch neben dem Vollstreckungsverfahren mit einem Antrag auf Erlass einer weiteren einstweiligen Verfügung gegen den Verletzer vorzugehen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.1996 - 6 W 145/96 - Rn. 3, juris). Die Nichtdurchführung eines Vollstreckungsverfahren...

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