Entscheidungsstichwort (Thema)

"Verhaltensanforderungen an GmbH-Geschäftsführers im Insolvenzfall bei Pflichtenkollision zwischen Massesicherungspflicht und Verpflichtung zur Abführung von Sozial- und Steuerabgaben"

 

Leitsatz (amtlich)

Ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- oder steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführt, handelt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und ist nicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig.

 

Normenkette

GmbHG § 64 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.11.2008)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 25.01.2011; Aktenzeichen II ZR 196/09)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers wird auf die Anschlussberufung des Beklagten das Urteil des LG Frankfurt/M. - 4. Zivilkammer - vom 26.11.2008 abgeändert.

Das Versäumnisurteil vom 12.6.2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis des Beklagten in der ersten Instanz entstandenen Kosten, die der Beklagte zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Beklagte kann die Vollstreckung aus dem Urteil durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 105 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit i.H.v. 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma A (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) den Beklagten als deren ehemaligen Geschäftsführer auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Massesicherungspflicht in Anspruch.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des LG Frankfurt/M. vom 26.11.2008 Bezug genommen.

Das LG hat mit der genannten Entscheidung der auf Zahlung von 75.193,87 EUR gerichteten Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 18.501,07 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung des auf § 64 Abs. 2 GmbH-Gesetz a.F. gestützten Anspruchs hat das LG ausgeführt, dass der Beklagte die Vornahme von Zahlungen der Schuldner der Insolvenzschuldnerin im Zeitraum zwischen dem 21. und 25.10.2005 i.H.v. insgesamt 121.212,50 EUR auf deren bei der B-Bank debitorisch geführtes Konto nicht habe zulassen dürfen. Durch die von der Bank anschließend ausgeführten Auszahlungen i.H.v. 103.011,43 EUR an das Finanzamt O1 und die C seien aber nur ein Betrag i.H.v. 18.501,07 EUR auf dem Konto verblieben. In Höhe dieses Betrages sei die B gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt worden.

Für die erfolgten Auszahlungen an das Finanzamt O1 und die C könne demgegenüber von dem Beklagten kein Ersatz verlangt werden, weil diese mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes gem. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. durchaus vereinbar gewesen seien. Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung könne es dem Geschäftsführer einer GmbH nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht zu erfüllen und sich gleichzeitig strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen. Dies gelte nicht nur bei Zahlung auf laufende fällige Forderungen, sondern auch bei Leistung auf rückständige Forderungen.

Gegen diese ihm am 3.12.2008 zugestellte Entscheidung wendet sich der Kläger mit der am 22.12.2008 eingelegten und am 12.1.2009 begründeten Berufung, mit der er seinen ursprünglichen Klageantrag weiter verfolgt und beantragt, den Beklagten über den bereits zuerkannten Betrag hinaus zur Zahlung weiterer 56.692,80 EUR zu verurteilen.

Der Kläger rügt, das LG habe die Entscheidung des BGH vom 14.5.2007, Aktenzeichen II ZR 48/06 (ZIP 2007, 1265 ff.) verkannt. Das Erkenntnis, dass ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- oder steuerrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeiternehmeranteile der Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführe, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers handele und nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig sei, könne nicht auf die von dem Geschäftsführer vorgenommenen Zahlungen auf rückständige Beiträge zur Sozialversicherung und rückständige Steuerschulden erstreckt werden. Sinn und Zweck der in dieser Entscheidung erkannten Auflösung der Pflichtenkollision zugunsten der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und fälligen Steuern sei, von dem Geschäftsführer kein Verhalten zu fordern, mit welchem er sich strafbar machen würde. Diese Überlegung greife jedoch nicht, wenn der Geschäftsführer sich bereits durch Nichtabführung der Beiträge bzw. Nichtzah...

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