Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflichtverletzung durch bei Nässe zu glattem Straßenbelag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unabhängig von der Existenz detaillierter technischer Regelwerke kann es eine Verletzung der Pflicht zur Straßenverkehrssicherung begründen, wenn eine mit Bitumenmaterial erstellte oder ausgebesserte Straße durch Verlust ihrer Splittanteile bei Nässe vergleichbar glatt wie eine Straßenbahnschiene ist und dieser Zustand längere Zeit andauert. In einem derartigen Fall reicht die Aufstellung von Warnschildern nicht aus.

2. Die auf die Ersatzpflicht hinsichtlich zukünftiger immaterieller Schäden gerichtete Feststellungsklage des den Unfall nicht selbst erlebenden Angehörigen eines Unfallopfers ist unzulässig, wenn der Angehörige nicht atypische Folgewirkungen mit eigenständigem Krankheitswert behauptet. Ein Angehörigen-Schmerzensgeld kennt das deutsche Recht nicht.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 19.11.2008; Aktenzeichen 1 O 212/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 19.11.2008 verkündete Grund- und Teilurteil des LG Limburg an der Lahn abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Kläger als Erbengemeinschaft nach ... 9.776,49 EUR nebst Zinsen i.H.v 5 Prozentpunkten über dem

Basiszinssatz seit dem 2.6.2004 und ein Schmerzensgeld i.H.v 6.000 EUR zu zahlen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und um den Ersatz des materiellen Schadens aus einem Verkehrsunfall vom 27.4.2002, bei dem ein Motorradfahrer tödlich gestürzt ist, der Ehemann der Klägerin zu 1. und der Vater des damals rund 1 ½ Jahre alten Klägers zu 2. Der Sturz beruhte jedenfalls auch darauf, dass die Fahrbahn an der Unfallstelle ganz außergewöhnlich glatt war. Die Kläger nehmen das beklagte Land (nachfolgend als "Beklagter" bezeichnet) mit der Begründung in Anspruch, seine zuständigen Mitarbeiter hätten die Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt. Die Straße hätte entweder einen deutlich griffigeren Belag erhalten oder für Motorradfahrer gesperrt werden müssen, das Aufstellen verschiedener Warnschilder - Einzelheiten waren insoweit streitig - habe nicht ausgereicht.

Die Kläger haben beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens aber 6.000 EUR,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 9.813,51 EUR nebst Zinsen i.H.v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2. 7.686,58 EUR nebst Zinsen i.H.v 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches an Geldrente zu zahlen für den Zeitraum vom 1.5.2002 bis zum 30.4.2004,

4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2. ab dem 1.5.2004 eine monatliche Geldrente i.H.v 319,09 EUR monatlich im Voraus bis zum 30.10.2018 zu zahlen,

5. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern alle weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Verkehrsunfall vom 27.4.2002 entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der Details des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf das landgerichtliche Urteil Bezug.

Das LG hat ein Grund- und Teilurteil erlassen, den ganz überwiegenden Teil des Fahrzeug- und des sonstigen Vermögensschadens und antragsgemäß ein Schmerzensgeld von 6.000 EUR (aus übergegangenem Recht des Motorradfahrers) zugesprochen sowie die Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich aller materiellen und immateriellen Unfallschäden festgestellt. Über die vom Kläger zu 2. begehrte Unterhaltsrente (Klageanträge zu 3. und 4.) hat es noch nicht entschieden. Der Beklagte rügt mit seiner Berufung, ein Grundurteil hätte jedenfalls in der vorliegenden Form nicht ergehen dürfen.

Die etwaigen Ansprüche stünden der Erbengemeinschaft und nicht den Klägern als Gesamtgläubigern zu. Die Kosten des "Griffigkeitsgutachtens" könnten als Rechtsverfolgungskosten nicht Gegenstand des Hauptsacheanspruchs sein. Der Feststellungsausspruch sei zu weit gefasst, insbesondere, weil keine zukünftigen immateriellen Ansprüche in Betracht kämen und weil es insoweit der Sache nach nur um den Unterhaltsschaden des Klägers zu 2. gehe. Das LG habe die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht überspannt. Es habe zur Zeit des Unfalls keine verbindlichen Griffigkeitsparameter und Messvorschriften gegeben; das LG stütze seinen Vorwurf ex post auf erst durch den Unfall gewonnene Erkenntnisse. Da die übrigen Motorradfahrer der Kolonne die Unfallstelle ohne weiteres gemeistert hätten, sei auf einen Fahrfehler des Erblassers zu schließen (Sachverständigengutachten). Jedenfalls müsse di...

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