Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbrauch durch umfangreiche Verfolgung von Wettbewerbsverstößen; Wettbewerbsverstoß durch Angebot von Elektrogeräten ohne CE-Kennzeichnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Einwand, der Umfang der gerichtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch ein Unternehmen stehe außer Verhältnis zum Umfang der Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens, begründet den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens grundsätzlich nur dann, wenn das Unternehmen mit seinem Anwalt in der Weise kollusiv zusammenwirkt, dass der Anwalt seinen Mandanten von den mit der Führung dieser Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt. Als Indiz für eine solche Freistellung kann es angesehen werden, wenn zwischen diesen Kostenrisiken einerseits und den Umsätzen und Gewinnen des Unternehmens ein besonders krasses Missverhältnis besteht und das Unternehmen auch nicht nachvollziehbar erläutern kann, warum es diese Risiken gleichwohl eingeht (Fortführung der Senatsrechtsprechung).

2. Bietet ein Händler Elektrogeräte ohne die gesetzlich vorgeschriebene CE-Kennzeichnung an, begründet dies den Vorwurf unlauteren Verhaltens sowohl unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 11 UWG als auch unter dem Gesichtspunkt der Vorenthaltung wesentlicher Informationen (§ 5a II, IV UWG).

 

Normenkette

UWG § 4 Nr. 11, § 5a Abs. 2, 4, § 8 Abs. 4; ProdSG § 3; ElektroStoffV §§ 3, 8

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 10.11.2014; Aktenzeichen 8 O 43/14)

 

Tenor

Nachdem der Antragsteller den Eilantrag teilweise zurückgenommen hat, wird das am 10.11.2014 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des LG Gießen teilweise abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, zu unterlassen, wie bei dem Kopfhörer "X" (gemäß Anlage Fn. 1 der Antragsschrift) geschehen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kopfhörer an Verbraucher abzugeben, ohne dass diese selbst oder deren Verpackung eine CE-Kennzeichnung tragen.

Die Kosten des Eilverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist rechtskräftig.

 

Gründe

I. Der Antragsteller handelt mit Kopfhörern. Er erwarb in dem von der Antragsgegnerin betriebenen Elektronikkaufhaus einen Kopfhörer, der weder auf dem Gerät selbst noch auf der Verpackung eine CE-Kennzeichnung trug.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gem. §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.

II. Nach teilweiser Rücknahme des Eilantrages (Berufungsantrag zu 1.) hat die weiter gehende Berufung in der Sache Erfolg.

1. Nach dem Sach- und Streitstand in der Berufungsverhandlung bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass - wofür die Antragsgegnerin die Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht trifft - der Antragsteller seine sich aus § 8 III Nr. 1 UWG ergebende Befugnis zur Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche missbräuchlich geltend macht (§ 8 IV UWG).

Der von der Antragsgegnerin der Sache nach erhobene Einwand, der Umfang der bisherigen gerichtlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen durch den Antragsteller stehe in einem Missverhältnis zum Umfang seiner Geschäftstätigkeit, vermag nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. GRUR-RR 2007, 56) den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nach § 8 IV UWG grundsätzlich nur dann zu rechtfertigen, wenn der Antragsteller mit seinem Prozessbevollmächtigten in der Weise kollusiv zusammenwirkt, dass der Antragstellervertreter den Antragsteller vollständig oder zum größten Teil von den mit der Führung dieser Verfahren verbundenen Kostenrisiken freistellt; in diesem Fall würden die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche nur oder vorwiegend im Gebührenerzielungsinteresse des Antragstellervertreters verfolgt. Fehlt es dagegen an einer solchen Freistellung von Kostenrisiken durch den Anwalt, ist jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich, welche vom Gesetzgeber missbilligten Zwecke der Antragsteller mit der Führung solcher Prozesse verfolgen sollte. Wenn sich ein Unternehmen entscheidet, unter Ausnutzung der sich aus § 8 III Nr. 1 UWG ergebenden Befugnis Wettbewerbsverstöße in seinem Bereich systematisch und in großem Umfang zu unterbinden, entspricht dies jedenfalls grundsätzlich dem vom Gesetzgeber mit der Verleihung dieser Befugnis verbundenen Anliegen.

Im vorliegenden Fall hat der Antragstellervertreter anwaltlich versichert, den Antragsteller in keiner Weise von Kostenrisiken freigestellt zu haben. Die Antragsgegnerin ist dem nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Durchgreifende Zweifel an einer solchen Darstellung können sich zwar ergeben, wenn zwischen den mit der Verfolgung der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche verbundenen Kostenrisiken einerseits und den Umsätzen und Gewinnen des abmahnenden Unternehmens andererseits ein besonders krasses Missverhältnis besteht und das Unternehmen auch nicht nachvollziehbar erläutern kann, warum es diese Risiken glei...

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