Leitsatz (amtlich)

2 cm überschreitende Niveauunterschiede auf dem eine stark untergeordnete Verkehrsbedeutung aufweisenden Fußweg am Rande eines kleinen, ländlichen Ortes begründen nicht ohne Weiteres eine Verkehrspflichtverletzung der sicherungspflichtigen Gemeinde, insb. dann nicht, wenn dem Fußgängerverkehr eine parallel verlaufende, völlig ebene, ausreichend beleuchtete und wenig befahrene Anliegerstraße zur Verfügung steht, wegen angrenzenden Baumbestandes mit Unebenheiten zu rechnen ist, die Niveauunterschiede nicht scharfkantig abgegrenzt sind, sondern die Form von Hügeln und Mulden haben.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 18.01.2006; Aktenzeichen 1 O 142/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18.1.2006 verkündete Grund- und Teilurteil der 1. Zivilkammer des LG Limburg/Lahn abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens aus einem Sturzunfall vom 6.5.2002 mit der Begründung in Anspruch, sie habe Unebenheiten i.H.v. 5-10 cm verkehrspflichtwidrig nicht beseitigt.

Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug. Das LG hat ein Grundurteil erlassen und durch Teilurteil der Zahlungsklage teilweise sowie der Feststellungsklage insgesamt stattgegeben. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Sie rügt, das LG verkenne, dass es für die Sicherungsanforderungen bezüglich Bodenunebenheiten jeweils auf die örtlichen Verhältnisse ankomme. Angesichts der ländlichen Umgebung, der begrenzten Verkehrsbedeutung und der unübersehbaren Bäume sei mit Unebenheiten infolge Wurzeltriebs erkennbar zu rechnen gewesen, hiervor habe nicht besonders gewarnt werden müssen. Der Klagevortrag zur Sturzstelle sei ebenso widersprüchlich gewesen wie die Aussage der Zeugin Z1. Es sei offen, ob der Kläger gerade wegen einer nicht hinnehmbaren Unebenheit gestürzt ist. Die Lichtverhältnisse habe das LG unzureichend aufgeklärt. Dem Kläger falle ein erhebliches Mitverschulden zur Last. Der Feststellungsantrag hätte hinsichtlich der immateriellen Zukunftsschäden abgewiesen werden müssen.

Die Beklagte beantragt, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch, weil diese ihre ggü. dem Kläger bestehende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt hat.

Der Zustand des Gehweges am Unfalltag begründet keine Verletzung der die Beklagte treffenden Verkehrssicherungspflicht. Das LG überspannt die Anforderungen an die sicherungspflichtige Gemeinde, es verkennt die insoweit differenzierende obergerichtliche Rechtsprechung. Der für die Unterhaltung öffentlicher Wegeflächen Verantwortliche ist nicht dazu verpflichtet, stets dafür zu sorgen, dass jene völlig eben sind. Jeder Fußgänger muss mit gewissen Unebenheiten rechnen und sich darauf einstellen. Mit welchen Unebenheiten der Verkehr rechnen muss und ab wann eine Beseitigungspflicht des Sicherungspflichtigen anzunehmen ist, bestimmt sich jeweils anhand der örtlichen Verhältnisse, insb. der Verkehrsbedeutung des Wegs, einer etwaigen Ablenkung des Fußgängerverkehrs etwa durch Geschäfte u. Ä. und der Erkennbarkeit der Gefahr in optischer Hinsicht oder von der Lebenserfahrung her. Soweit die Rechtsprechung als Faustregel Niveauunterschiede ab 2 cm als verkehrswidrig angesehen hat, bezieht sich das auf scharfe Kanten in städtischen Ballungsgebieten; in ländlichen Wohnstraßen oder in der Nähe von Grünanlagen sind auch höhere Kanten für akzeptabel gehalten worden, insb. dann, wenn sie gut zu sehen waren oder wenn - etwa wegen angrenzenden Baumbestandes - nach der Lebenserfahrung mit ihnen zu rechnen war (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1987, 412 f.; NZV 1995, 484; OLG Frankfurt v. 30.9.1993 - 1 U 248/90, OLGReport Frankfurt 1993, 298 f.; OLG Düsseldorf OLGReport Düsseldorf 1995, 23; OLG Koblenz v. 14.10.1998 - 1 U 591/96, OLGReport Koblenz 1999, 199 f.; OLG Koblenz v. 10.1.2001 - 1 U 881/99, MDR 2001, 748 = OLGReport Koblenz 2001, 171, 172; OLG Schleswig v. 11.7.2002 - 11 U 47/01, MDR 2003, 29 = OLGReport Schleswig 2002, 383).

Nach diesen Grundsätzen lässt der Zustand des streitgegenständlichen Gehwegs zum Unfallzeitpunkt entgegen der Ansicht des LG nicht auf eine Verkehrspflichtverletzung der Beklagten schließen.

Seine Feststellung, die Unebenheiten des Weges seien weit übe...

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