Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Bestimmtheit eines strafrechtlichen Tatbestandes. Umfang des Zitiergebots in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In einer Rechtsverordnung ist lediglich das zugrunde liegende einzelstaatliche förmliche Parlamentsgesetz, nicht jedoch auch eine gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage anzugeben.

2. Eine auf Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in innerstaatliches Recht gerichtete Rechtsverordnung ist nicht deshalb nichtig, weil sie keinen Hinweis auf die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Normen enthält.

3. Die Milchmengengarantieverordnung (MGV) ist nicht wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot nichtig, da in Nr. 7 ihrer Präambel die Vorschriften des MOG genannt werden, auf denen die Verordnung beruht,. Einer Zitierung der Vorschriften der VO-EWG Nr. 3950/92 bedurfte es nicht.

4. Ob die Milch-Garantiemengen-Abgabe "zu hoch ist", ist eine rechtliche Bewertung, die weder dem Tatgericht, noch dem Revisionsgericht zusteht (vgl. BFH - VII B 81/99 - 12.07.1999).

5. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 und des Art. 104 Abs.1 S. 1 GG gerecht. Auch die in § 370 AO i.V. mit §§ 8 Abs. 2, 12 Abs. 1 MOG als mehrstufiges Blankettgesetz geregelte Strafbarkeit von Verstößen gegen die Milchgarantiemengenverordnung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 S. 1 GG.

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Urteil vom 13.05.2003)

AG Kassel

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 29.04.2010; Aktenzeichen 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08)

BVerfG (Beschluss vom 29.04.2010; Aktenzeichen 2 BvR 871/04)

 

Tenor

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Kassel hatte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung (§§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; 12 MOG; 1, 3, 7a MGV; EG-VO Nr. 3950/02; 25 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Kassel mit Urteil vom 13. Mai 2003.

In diesem Urteil wurden u.a. folgende Feststellungen getroffen:

Im Jahre 1984 änderte der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die bis dahin gültige Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse und führte eine Quotenregelung ein, um das strukturelle-Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf diesem Sektor zu beseitigen (Verordnung EWG Nr. 856/84).

Diese Regelung setzte für jeden Mitgliedsstaat eine Garantiemenge fest. Bis zum Erreichen der Garantiemenge findet die gemeinschaftsrechtliche Interventionsregelung Anwendung, d.h. es besteht eine Abnahmegarantie, wenn ein von der EG festgesetzter Preis nicht erzielt werden kann. Bei Überschreitung der Garantiemengen sind Zusatzabgaben zu erheben (Verordnung EWG Nr. 857/84): Durch die Verordnung EWG Nr. 3950/92 vom 28.12.1992 wurden die Bedingungen der Milchmarktordnung zum 01.04.1993 in verschiedenen Punkten modifiziert. Die Gestaltungsspielräume der Mitgliedsstaaten wurden gegenüber der bis dahin geltenden Regelung erweitert.

Die Abgabe wurde auf 115 % des Richtpreises festgelegt (Art. 1 der EWG Verordnung Nr. 3950/92).

Danach teilten die Mitgliedsstaaten ihre Garantiemengen auf die Erzeuger sprich Landwirte auf, die auf ihrem Gebiet Milch produzierten. Solche "Referenzmengen" wurden den Landwirten für Direktverkäufe und für Lieferungen an einen Abnehmer (Molkerei) zugeteilt.

Die Summe der den Erzeugern zugeteilten Referenzmengen darf die dem Mitgliedsstaat zugewiesene Garantiemenge nicht übersteigen. Wird die Gesamtgarantiemenge des. Mitgliedsstaates überschritten, werden die Erzeuger, die zur Überproduktion beigetragen haben, zur Zusatzabgabe herangezogen. Abgabenschuldner sind die Landwirte. Eingezogen werden diese Zusatzabgaben indessen von den Molkereien als Zahlungsstellen. Dies geschieht im Wege der Verrechnung mit dem Milchpreis.

Die Abgabe ist nicht nur von der Menge der überlieferten Milch, sondern auch von deren Fettgehalt abhängig. Die zur Einrechnung des Fettgehalts anzuwendende.

Methode wird in der Verordnung 536/93 der Kommission vom 09, März 1993 festgelegt.

Die Mitgliedstaaten legen die Abgabenberechnung- und Erhebung fest. Dies bestimmt Art. 2 der Verordnung Nr. 3950192.

Die Einzelheiten sind für Bundesrepublik Deutschland durch die Milchgarantiemengenverordnung (MGV) geregelt. Diese Verordnung wiederum stützt sich auf eine Ermächtigung im Marktordnungsgesetz (MOG), nämlich §§ 12 und 8 dieses Gesetzes. Die §§ 4 bis 7 MGV regeln die Errechnung der Referenzmenge. Nach § 7b Abs. 1 MGV kann der Käufer, also die Molkerei, Referenzmengen die im jeweiligen Zwölfmonatszeitraum nicht genutzt worden sind (Unterlieferungen) anderen Milcherzeugern, die ihre Referenzmengen überschritten haben, nach einem bestimmten Schlüssel zuteilen, Die Abgabepflicht entsteht erst, wenn nach einer Saldierung sämtlicher bei der Molkerei anliefernder Erzeuger gegenüber der Gesamtsumme der Referenzmengen aller Anlieferer ein Überschuss ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge