Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeld für Schockschaden eines miterlebenden Angehörigen

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 04.10.2016; Aktenzeichen 2 O 341/12)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 04.10.2016 verkündete Teilurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der erste Absatz des Tenors des angefochtenen Teilurteils sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Beklagte wehrt sich in der Berufungsinstanz gegen ein der Klägerin zu 1) zugesprochenes Schmerzensgeld.

Mit ihrer Klage vom 21.03.2012 hat die Klägerin zu 1) neben ihren beiden Töchtern, den Klägerinnen zu 2) und 3), Schmerzensgeld (Klägerin zu 1) i.H.v. von mindestens EUR 50.000,00), Bar- und Naturalunterhalt (für den Zeitraum bis Ende 2011) sowie Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten wegen der Tötung ihres Ehemannes (Klägerin zu 1)) bzw. Vaters (Klägerinnen zu 2) und 3)) bei einem Verkehrsunfall am ....05.2005 verlangt.

Die beklagte Versicherung hat ihre materielle und immaterielle Ersatzpflicht mit Wirkung eines am 15.12.2008 rechtskräftigten Feststellungsurteils anerkannt (Anlage K 1).

Hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 S. 1 ZPO) und auf die Ausführungen unter Ziffer II. Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klägerin zu 1) - unter Berücksichtigung eines vom Beklagten bereits geleisteten Schmerzensgeldes von insgesamt EUR 11.000,00 - mit Teilurteil vom 04.10.2016 weitere EUR 89.000,00, d.h. insgesamt EUR 100.000,00 zugesprochen. Die Schmerzensgeldklagen der Klägerinnen zu 2) und 3) sowie die Klagen auf Barunterhalt hat es abgewiesen. Den klägerischen Schmerzensgeldanspruch hat das Landgericht damit begründet, aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin zu 1) durch den von ihr miterlebten Unfall ein irreversibles posttraumatisches Belastungssyndrom sowie eine fortdauernde Depression erlitten habe. Sie habe sich aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in weiten Teilen nicht um ihre zum Unfallzeitpunkt erst ca. 2 1/2 Jahre und 6 Monate alten Kinder kümmern können und das Sorgerecht auf ihre Schwiegermutter übertragen müssen. Durch den Unfall sei nicht nur ihre Gesundheit, sondern ihr gesamtes Leben weitgehend zerstört worden. Angesichts ihrer Beeinträchtigungen sei ein Schmerzensgeld von jedenfalls EUR 100.000,00 angemessen.

Soweit das Landgericht die Klage abgewiesen hat, haben die Klägerinnen weder Berufung noch Anschlussberufung eingelegt. Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen das der Klägerin zu 1) zuerkannte Schmerzensgeld (nebst Zinsen). Er meint, das Teilurteil sei aufzuheben, soweit zu seinem Nachteil erkannt worden sei, und der Rechtsstreit insofern an das Landgericht zurückzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Teilurteil nicht vorgelegen hätten. Das Landgericht habe auch nicht klargestellt, ob es sich um eine abschließende Schmerzensgeldentscheidung handele. Mit Blick auf die Höhe des Schmerzensgeldes liege eine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Ferner habe das Landgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Insbesondere hätte es der Frage nachgehen müssen, ob die Reaktion der Klägerin zu 1) vorhersehbar gewesen wäre und ob sie psychiatrische Vorerkrankungen oder Prädispositionen gehabt habe und der Einbruch in die ehemalige Werkstatt ihres Mannes im Jahr 2008 oder der Tod des Vaters ihrer Schwiegermutter nach einer bis Ende 2007 bereits erfolgten Stabilisierung gegebenenfalls zu einer Dekompensation geführt hätten. Das Landgericht habe sich auch weder damit auseinandergesetzt, ob das gerichtliche Sachverständigengutachten von A (im Folgenden "das Gutachten") den Standards und Leitlinien entspreche noch ob es unter Berücksichtigung weiterer psychologischer Beurteilungen, insbesondere des Privatgutachtens B, überzeugend sei. Es habe ferner versäumt, klar herauszuarbeiten, welche Kriterien bei der Schadensbemessung unberücksichtigt geblieben seien und wie stark die Klägerin zu 1) tatsächlich belastet sei. Der Verlust des Ehemanns als solcher sei ebenso wenig entschädigungspflichtig wie die entgangene Möglichkeit, die Kinder in einer intakten Familie aufzuziehen und aufwachsen zu sehen, zumal fraglich sei, ob die Klägerin zu 1) den Unfall überhaupt im Sinne der Rechtsprechung miterlebt habe.

Der Beklagte beantragt,

das Teilurteil aufzuheben, soweit zu seinem Nachteil erkannt worden ist und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urte...

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