Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigung des Handelsvertreters zur Hinzuziehung eines Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchsachverständigen zwecks Bucheinsicht

 

Normenkette

HGB § 87c Abs. 1, § 4; ZPO §§ 883, 887

 

Verfahrensgang

LG Hanau (Aktenzeichen 5 O 244/93)

 

Tenor

Der Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des LG Hanau vom 6.12.2001 wird aufgehoben.

Das LG wird angewiesen, den Zwangsvollstreckungsantrag der Gläubigerin nicht mit der Begründung zurückzuweisen, ihr Anspruch auf Bucheinsicht unter Heranziehung eines Wirtschaftsprüfers oder eines vereidigten Buchsachverständigen sei durch das rechtskräftige Teilurteil des LG Hanau vom 20.7.2000 nicht tituliert.

Zur weiteren Entscheidung über den Antrag sowie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird die Sache an das LG Hanau – 1. Kammer für Handelssachen – zurückverwiesen.

 

Gründe

Die gem. §§ 793 Abs. 1, 577 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Das LG hat zu Unrecht den Standpunkt eingenommen, der Antrag der Gläubigerin auf Zwangsmaßnahmen gegen die Schuldnerin sei deshalb unbegründet, weil es an einem Titel fehle, der die Gläubigerin berechtige, mit Hilfe eines Wirtschaftsprüfers Bucheinsicht zu nehmen.

In dem rechtskräftigen Teilurteil ist die Schuldnerin, dem Wortlaut des § 87c Abs. 4 HGB entsprechend, verurteilt worden, nach ihrer Wahl entweder der Gläubigerin oder einem von ihr zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in die Geschäftsbücher oder die sonstigen Urkunden so weit zu gewähren, wie dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszugs erforderlich ist. Das ihr zustehende Wahlrecht hat die Schuldnerin in der Weise ausgeübt, dass sie den Zutritt zu ihren Geschäftsräumen nur der Gläubigerin persönlich – nicht ihrem Wirtschaftsprüfer – gestatten will.

Das ist jedoch nach dem Titel nicht gerechtfertigt. Wird die Verurteilung zur Bucheinsicht gem. § 87c Abs. 4 HGB entsprechend dem Gesetzeswort tituliert, und wählt der Unternehmer die Einsichtnahme durch den Handelsvertreter, dann ist damit zugleich ausgesprochen, dass dieser sich eines Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchsachverständigen bei der Einsichtnahme bedienen darf, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Titel angeordnet ist.

Zwar ist einzuräumen, dass die Alternative „entweder – oder”, wenn man am Wortlaut haftet, so verstanden werden könnte, dass die Wahl nur zwischen einem Wirtschaftsprüfer (oder vereidigten Buchprüfer) oder der Einsicht ohne einen solchen eröffnet ist. Der Titel ist jedoch der Auslegung zugänglich, wobei zur Bestimmung seiner Tragweite gerade die gesetzliche Bestimmung heranzuziehen ist, der der Ausspruch bis in die Einzelheiten der Formulierung gefolgt ist.

§ 87c Abs. 4 HGB enthält keine derartige Ausschließlichkeit. Das Wahlrecht für einen Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen ist dem Unternehmer an die Hand gegeben, um seinem Geheimhaltungsinteresse Rechnung tragen zu können (v. Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 87c HGB Rz. 74; Ebenroth/Boujong/Joost/Löwisch, § 87c HGB Rz. 45). Entscheidet er sich für diese Alternative, ist dem Handelsvertreter persönlich die Einsicht verwehrt. Macht der Unternehmer von seinem Schutzrecht keinen Gebrauch und wählt er die Einsicht durch den Handelsvertreter, dann bedeutet dies hingegen nicht, dass der Handelsvertreter nur höchstpersönlich Bucheinsicht nehmen dürfte. Es entspricht vielmehr allgemeiner Auffassung, dass er berechtigt ist, sich einer solchen Hilfsperson zu bedienen (KG DB 1971, 1204; v. Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 87c HGB Rz. 75; Ebenroth/Boujong/Joost/Löwisch, § 87c HGB Rz. 45; Baumbach/Hopt, 30. Aufl. 2000, § 87c HGB Rz. 27). Anderenfalls würde der Anspruch des Handelsvertreters in den Fällen entwertet werden, in denen er nicht in der Lage ist, das Einsichtsrecht sachgerecht wahrzunehmen. Auch das LG nimmt insoweit keinen abweichenden Standpunkt ein, es meint lediglich, es bedürfe insoweit einer ausdrücklichen Titulierung. Diese Forderung erscheint jedoch als zu weitgehend und auch als sachlich nicht geboten.

Die Zurückverweisung (§ 575 ZPO) gibt der Gläubigerin und dem LG Gelegenheit, erneut zu überprüfen, welche Zwangsmaßnahmen zu ergreifen sind, sofern die Schuldnerin überhaupt noch an ihrer Auffassung festhalten sollte, dem von der Gläubigerin hinzugezogenen Wirtschaftsprüfer den Zutritt zu versagen.

Da die Schuldnerin die Einsichtnahme als solche nicht verwehrt, sondern nur den Zutritt des Wirtschaftsprüfers nicht gestattet hat, erscheint die auf Anraten des LG beantragte Ersatzvornahme gem. § 887 ZPO nicht als die richtige Vollstreckungsart. Zu der Frage, wie die Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen zu vollstrecken ist, finden sich unterschiedliche Stellungnahmen. Teilweise wird ohne Einschränkung auf § 887 ZPO abgestellt (Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, 2. Aufl. 1995, § 87c Rz. 19; Koller/Roth, 3. Aufl. 2002, § 87c HGB Rz. 17), tei...

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